Das geschwärzte Land

Oder: Was ziemlich sicher nicht in den RKI-Protokollen zu lesen sein wird    


Minister Lauterbach hat angekündigt, die vom Magazin multipolar zur Veröffentlichung freigeklagten, vom Robert-Koch-Institut jedoch umfangreich geschwärzten Sitzungsprotokolle des Corona-Krisenstabs „entschwärzen“ zu lassen. Das ist schön und gut, das ist ein Anfang, aber lediglich ein Anfang in Sachen politischer, eventuell juristischer Aufarbeitung. Die entscheidenden Fragen zur Corona-Anomalie sind jedoch nicht die nach der Korrektheit politischen und administrativen Vorgehens. Die wesentlichen und dringend nötigen Entschwärzungen betreffen nicht irgendwelche Schriftstücke von Behörden, entlarvende Zitate, Beweise für das Fehlverhalten von Entscheidern, sondern das Seelenleben der Massen.

Es wären also Fragen der Massenpsychologie, der Sozialpathologie, der Gesellschaftscharakterologie, die irgendwann einmal beantwortet werden müssten. Dazu müssten sie allerdings erst einmal gestellt werden. Wie war es möglich, ein ganzes Land derart zu hysterisieren? Wie war es möglich, jegliche Rationalität, jede Wissenschaftlichkeit, alle Errungenschaften der Aufklärung zu suspendieren und durch primitiven Moralismus zu ersetzen? Wie war es möglich, den Willen zur Wirklichkeit bei (mindestens) neunzig Prozent der Bürger derart widerstandslos zu ersticken? Und damit solche Fragen gestellt werden können, müsste erst einmal eine Ahnung von der Fragwürdigkeit des gesamten Corona-Irrsinns aufkommen bei all jenen, die seit mittlerweile vier Jahren sämtliche Abwehrmechanismen, die uns aus der Psychoanalyse bekannt sind, aufbieten, um sich nicht mit der unschönen Realität konfrontieren zu müssen.

Diese Seelen sind es, die wir uns großflächig geschwärzt denken müssen, diese Bewusstseine sind es, die entschwärzt werden müssen. Dazu aber müssten sie den Willen aufbringen zur Entschwärzung, zur selbstkritischen Sichtung, zur Analyse des bislang Unvorstellbaren: Dass sie sich willig, begierig, mit größter moralischer Lust in eine Scheinrealität gestürzt haben und sich schuldig gemacht haben an denen, die ihnen nicht folgen mochten in ihren Wahn.

Sie haben, befeuert von Meinungsführern und medialen Propagandisten, Panik geschürt, Terror verbreitet, ja Terror, und ich weiß, wovon ich rede, ich habe sie nicht vergessen, diese Zeit der andauernden Bedrohung. Ich habe nicht vergessen, wie verzweifelt surreal es sich anfühlte, als mein Arzt mein Handy in den Kühlschrank legte, damit wir abhörsicher reden konnten über die Risiken eines gefaketen Impfausweises; wie man mich trennte von meiner Frau in ihrer dunkelsten Stunde; wie ich mit Familie und Freunden ganz ernsthaft über die Möglichkeiten einer Auswanderung diskutieren musste, über ein Leben in irgendeiner Art von Untergrund, wenn es zum Äußersten kommen würde; wie neben unserem Demozug jedesmal diese Schergen der „Zivilgesellschaft“ mitliefen, Antifanten mit dem Segen des Staates, uns zu filmen, uns einzuschüchtern, uns aus hassverzerrten Gesichtern anzuschreien wie Besessene; und wie die Zeitung über uns berichtete, als wären wir die Hassverzerrten und Besessenen gewesen; wie wieder einmal eine Selbstmordnachricht eintraf … wieder ein Mensch, der es nicht ertragen hatte, so vom Leben abgeschnitten zu sein, eine Cousine, ein Künstler, Seelen auf der Kippe, Lockdown-Opfer, denen die Maßnahmen-Mehrheit den Rest gegeben hatte. Nacht lag über Deutschland, Lügenäther und politische Schwärze, die ich nicht kannte bis dahin im echten Leben, nur aus Filmen, Büchern, schwarzweißen Geschichtstiefen, finsteren, falschen Zeiten vor meiner Geburt.

Nein, ich habe nicht vergessen, dass die Mehrheit, die übergroße Mehrheit meiner Mitbürger mit allem einverstanden war, sie wollten es genau so, sie wollten es zuweilen noch härter und distanzierter und repressiver und grundrechtswidriger. Sie haben Menschen mit bestem Gewissen entwürdigt, haben ihnen Krankheit und Tod gewünscht, sie haben sich allen grausamen Wonnen des Kollektivs hingegeben, haben weggesehen im Dienste der großen Sache, haben Sterbende einsam eingehen lassen, haben die Schwachen, die Schwächsten unmenschlichen Qualen und Ängsten ausgesetzt, haben die Tyrannei der Mehrheit genossen, als hätten sie nie eine deutsche Schule besucht, nie ein Geschichtsbuch gelesen, nie etwas gehört von den Verlockungen des Totalitären.

Ja, es wäre schon mal ganz hilfreich, wenn man diesem und jenem Verantwortungsträger dieses und jenes Fehlverhalten nachweisen könnte und ihn dafür zur Verantwortung ziehen, verurteilen, bestrafen könnte. Ein paar Minister, Senderchefs, Virologen hinter Gittern – wer würde da nicht die Rotkäppchenkorken knallen lassen. Aber wir können nicht das ganze Land entschwärzen und zur Rechenschaft ziehen. Es wird keine Entcoronisierungsverfahren geben. Es wird keine echte Aufklärung, keine große Gerechtigkeit geben. Wir werden mit der Lüge leben müssen, und mit unseren verlogenen Mitbürgern. Vorerst jedenfalls.


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Ich habe bislang kein Wort der Einsicht, der Umkehr, der Selbstkritik vernommen von jenen, die den Coronismus über uns gebracht haben. Weder im Privaten, noch in irgendeiner Öffentlichkeit habe ich die Aussage gehört: „Ich habe mich damals komplett verrannt, ich bin einer Illusion aufgesessen, ich war hysterisch, ich war in einem Wahn befangen. Es tut mir aufrichtig leid.“

Nichts dergleichen werden wir je zu hören bekommen. Das zu erwartende Maximum stellen Eingeständnisse leichter Überreaktionen dar: „Wir waren hier und da vielleicht zu streng, die Schulschließungen mussten in diesem Ausmaß wohl nicht unbedingt sein, Maskenpflicht im Freien mag etwas überzogen gewesen sein, etc.“

Solche Verlagerungen der Aufmerksamkeit auf Fehler annehmbaren Ausmaßes, solche entlastenden Fokusverschiebungen nennt man landläufig Ablenkungsmanöver. In der Psychoanalyse nennt man solche Abwehrvorgänge Pseudo-Deskotomisierung (jedenfalls seit ich diesen Terminus soeben eingeführt habe).

Skotomisierung meint die Verdunklung eines Teils der Realität, der für das Ich absolut inakzeptabel und somit existenzbedrohlich wäre. Etwas für den gesunden, objektiven Betrachter Offensichtliches ist für den von vernichtenden Schuld-, Scham- und Angstgefühlen Bedrohten subjektiv unsichtbar, die Tatsachen, die Erinnerungen, die Geschehnisse und die dazugehörigen Gefühle sind für ihn „geschwärzt“. Da ist nichts, da gibt es nichts zu sehen.

Die halbherzigen „Entschwärzungen“, die wir derzeit erleben – „Kinder waren keine Treiber der Pandemie, die Hoffnungen in die Impfung waren vielleicht zu hoch, es mag ein paar Einzelfälle von Impfschäden gegeben haben, etc.“ – stehen im Dienste der Wahnerhaltung, sie stabilisieren letztlich die Fiktion. Die Fiktion von der menschheitsbedrohenden Killerseuche, die Fiktion von der Gemeinschaft der Gutwilligen, die zusammenstehen gegen das Böse, die Fiktion vom Kampf gegen Wissenschaftsfeinde und Virenleugner, die Fiktion von großer Zeit, von Krieg, Ernstfall, Entscheidung, Vereindeutigung der moralischen Verhältnisse.

Die tragenden Bauelemente dieses Glaubenssystems, die felsenfesten, unhinterfragbaren, unbezweifelbaren Überzeugungen werden ewig unangetastet bleiben. „Die Bilder aus Bergamo kann ja wohl keiner abstreiten, die überfüllten Intensivstationen haben wir doch alle gesehen, es war richtig, die Querdenker und Coronaleugner und Impfverweigerer auszugrenzen, die Impfung war nicht perfekt, aber sie hat immerhin Millionen zusätzlicher Toter verhindert etc. etc.“ Es darf nicht alles falsch gewesen sein!

Wir werden keine offene Diskussion über diese ehernen Dogmen bekommen. Es wird keine Lanz-Sendungen geben, in denen Wodarg, Kuhbandner und Homburg mit unvoreingenommenem Erkenntnisinteresse zu ihren Sichtweisen und Einschätzungen befragt werden, keine Hart-aber-fair-Runden, in denen Esfeld, Frank, Vosshaar mit Spahn, Drosten, Buyx diskutieren werden, keine Podien auf denen Brinkmann, Priesemann, Meyer-Herrmann mit Meyen, Kostner, Murswiek konfrontiert werden.

Ich glaube, die allermeisten Corona-Realisten und Maßnahmenkritiker wären schon halbwegs versöhnt, wenn regelmäßig zur Primetime solche Gespräche stattfinden würden. Ich glaube, die wenigsten wollen ernsthaft ihre Vergeltungsgelüste und Rachephantasien verwirklich sehen. Jeder weiß, dass die Mentalität des Volkes, das geistige Klima dieses Landes sich nicht dadurch ändert, dass ein Minister oder ein Behördenleiter drei Jahre in den Knast geht.

Ich bleibe bei dem, was ich bereits zu Beginn des Corona-Glaubenskriegs gesagt habe: Der Schlüssel zur Befriedung des Landes liegt in den Händen von Lanz und Co. Und ich bin nach wie vor sicher, dass keinerlei Wille existiert, diesen Schlüssel zu nutzen. Die Leitmedien wollen nicht befrieden, sie wollen nicht aufklären, sie wollen nicht sachgerecht informieren, moderieren, dokumentieren, diskutieren. Sie wollen missionieren und agitieren und moralisieren, sie wähnen sich in einem Kampf gegen allgegenwärtige Gefährder und Verführer, die den Deutschen mit längst überwunden geglaubtem Deubelkram zu Leibe rücken, Bürgerlichkeit, Meinungsfreiheit, Eigenwilligkeit, Selbstdenkerei, Sachargumentation, Empirie, Rationalismus, Nonkonformismus und all diese rechten Marotten.

Das Mediensystem ist so wenig mit Argumenten und Gutzureden reformierbar wie jedes religiöse System. Das etablierte Personal, diese Priesterschaft der rechtgläubigen Medienrealität, wird sich nicht ändern. Jede politische Kraft, die ernsthaft dieses Land entneurotisieren will, muss beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ansetzen – ihn abzuschaffen, wäre so ziemlich das Dümmste, was man machen kann. Er muss vielmehr zurückerobert und gestärkt werden. Er muss säkularisiert, entideologisiert, neutralisiert werden, zu einer Bastion der Aufklärung umgebaut werden. Priester, Propagandisten, Haltungsjournalisten raus, Rationalisten, Analytiker, Unparteiische rein. Zu dem Thema sollten die Potsdam-Wannsee-Masterplan-Extremisten mal ein paar zünftige Geheimtreffen veranstalten, würde ich vorschlagen. – Allerdings bin ich skeptisch, ob man die Deutschen selbst mit einem noch so realitätsadäquaten ÖRR umerziehen und von ihrem Grundübel heilen kann.


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Die Deutschen sind hoffnungslos religiös. Die Deutschen sind süchtig nach re-ligio, nach der Rückbindung an eine Letztheit, an die große Begründung, die Gewissheit von ganz oben, die sie zur Moral, zur Maßnahme, zur Niedertracht berechtigt. Sie sind unfähig zur Freiheit, sie gieren nach dem Absolutum, das ihnen Halt gibt in der Schwebe des Lebens, Haltung gegen die Fragwürdigkeit ihres hybriden Geblüts. Immer Exzess, immer falsche Normalität, immer Weltmeister und Untergang, immer lauernd auf die Kränkung und das Lob letzter Instanzen, Liebediener und Lagerkommandant, at your feet or at your throat, Paradoxien in Reih und Glied, Milchmädchen-Quadraturen, die aufgehen müssen ohne Rest.

Warum sie so sind, ist mir in all meinen Jahren privaten Forschens noch nicht wirklich klargeworden. Es ist eine ethno-ethologische Frage, die seit Jahrhunderten jene wenigen Deutschen, die der gelegentlichen Selbstdistanzierung fähig sind, umtreibt. Man sollte vielleicht einfach aufhören mit dieser Fragerei, man grübelt ja auch nicht dauernd darüber nach, warum die Schnecke schleimt und das Schwein grunzt.

Sehr ernsthaft fragen muss man sich allerdings, ob es klug wäre, eine politische Kraft zu unterstützen, die es sich zum Ziel setzt, die Deutschen, diese Irrläufer der Völkerevolution, vor der Selbstabschaffung zu bewahren. Um welcher fünfzig oder dreißig oder zehn Gerechten willen sollte man wünschen, dass diesem entarteten Geschlecht seine Folgerichtigkeit erspart bliebe? Vor hundert Jahren hätte ich noch problemlos fünfzig oder fünfhundert zusammenbekommen. Aber heute? Man nenne mir zehn, und ich wähle die AfD.


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Abschließend noch eine kleine, ganz persönlich-intuitiv zurechtgesponnene Spekulation zu der entscheidenden Passage der RKI-Files. Multipolar berichtet:
„An diesem Wochenende passierte auch etwas mit dem RKI. Den wesentlichen Hinweis darauf liefert das Protokoll vom Montag, dem 16. März, in dem es heißt: ‚Am Wochenende wurde eine neue Risikobewertung vorbereitet. Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald [geschwärzt] ein Signal dafür gibt.‘
‚Es soll diese Woche hochskaliert werden‘ – offenbar ein politischer Beschluss, kein wissenschaftlicher, zudem abrupt und überraschend, ohne jede Andeutung in den vorhergehenden Protokollen und ohne dass grundlegende Kennzahlen sich maßgeblich geändert hätten.“ (https://multipolar-magazin.de/artikel/rki-protokolle-1)

Ich glaube, der Grund für diese plötzliche, politisch veranlasste Hochskalierung, und also für die gesamte schwererklärliche Verschärfung der Coronamaßnahmen seit dem 17. März 2020 könnte darin liegen, dass man in diesen Tagen auf höchster Ebene irgendeine geheimdienstliche Erkenntnis gewann, dass das Virus aus dem Labor kam. Dies wäre für mich eine – auch rein menschlich – überzeugende Erklärung für alles Folgende.

Man (also Merkel, Spahn, Seehofer etc.) dachte bis dahin, das Ganze sei eine Zoonose, irgendwas gewiss nicht ganz Ungefährliches, aber halbwegs Beherrschbares. Als man nun erfuhr, dass das Ding wohl eine entfleuchte Biowaffe aus der Gain-of-Function-Forschung war, kam Alarm-Stimmung auf. „Deshalb also machten die Chinesen so ein Bohei, deshalb dieser Irrsinn mit Desinfektionskommandos, Ausgangssperren, Krankenhausneubauten über Nacht etc.“ Man entschied sich, konsequent auf Nummer sicher zu gehen, lieber etwas überzureagieren, als die Sache zu locker zu nehmen. Man wusste nicht, was dieses Virus akut oder auch langfristig anrichten würde. Wenn es dafür gezüchtet war, maximale Übertragbarkeit mit hoher Tödlichkeit zu verbinden, um insgesamt größtmöglichen Schaden anzurichten, war jede Vorsichtsmaßnahme gerechtfertigt.

Wie gesagt, alles reine Spekulation. Aber wundern würde es mich nicht, wenn wir circa 2075 in Merkels Tagebüchern lesen würden:
„Freitag, 13. März 20: Mittags Kartoffelsuppe gekocht. Hm, lecker. Dann das fliederfarbene Jacket zur Reinigung gebracht. Ein wenig Lohengrin gehört. Dann rief der Dings vom BND an und meinte, sie hätten jetzt aus Langley die Gewissheit, dass das Virus aus dem Labor ausgebüxt sei. Also doch. So n Mist. Was mach ich denn jetzt? Erstmal alles dichtmachen, am besten. Sonst steht hinterher in den Geschichtsbüchern: Sie hat nicht alles dichtgemacht, obwohl sie wusste, dass das Virus aus dem Labor in Wuhan kam, weil der Dings vom BND ihr das ja gesagt hat, und wegen ihr sind dann alle Deutschen irgendwie mutantiert, das war ein Fehler, das hätte man von der Physikerin, die doch immer alles vom Ende her denkt, nicht gedacht.“
So ungefähr.
Klingt für mich komplett plausibel. Also jedenfalls: Bevor ich glaube, dass die Pharmaindustrie Corona erfunden hat, um Impfstoffe zu verkaufen, oder dass die Young Global Leaders die Weltherrschaft proben wollten, oder dass der Club of Rome die Bevölkerung des Planeten dezimieren wollte, glaub ich lieber an meine psychologisch höchst nachvollziehbare Hypothese. Schöner wär’s natürlich, ich müsste mich nicht mit Glauben begnügen, sondern bekäme von fachkundiger Seite echtes Wissen geliefert. Echte Fakten. Alle Fakten, und zwar ungeschwärzt.


 

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