. . . und ihr macht mir allmählich echt Angst. – Ein paar verschwendete Zeilen an die bunten Vulgärdemokraten, die gerade mit bestem Gewissen die letzten Reste des rationalen Diskursraums zerstören.
„Natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf Deutsche.“
Heiner Müller
„Das ist unumstößlich gewiß, daß die Zukunft der irdischen Geschicke, die Zukunft Deutschlands, an dem einzelnen Menschen hängt, nicht an den Massen. Alles liegt an den Menschen und an nichts hat Deutschland so großen Mangel wie an Menschen.“
Paul de Lagarde
„Wir sind mehr“ – ist euch euer eigenes Motto eigentlich kein bisschen peinlich? Gut, eure Demos, euer Zusammenhaltskarneval, eure Selbstheiligungsprozessionen sind ja ohnehin voll von Schwachsinnsparolen – „München bleibt bunt“, „Hass macht hässlich“, „Hass macht krank“ „Kein Kölsch für Nazis“, „Ganz Berlin hasst die AfD“, „Nie wieder ist jetzt“, „In Oldenburg sind alle Menschen gleich“, „Nie wieder braune Scheiße“, „Nazis essen heimlich Döner“, „So hat es damals auch angefangen“, „Menschenrechte statt rechte Menschen“, „AfD tut weh“, so Sechstklässlerkreativität halt –, aber die Vorstellung, dass ausgerechnet Mehrheit ein Argument, ja geradezu ein Synonym für Gutheit, Wahrheit, Menschlichkeit oder auch nur für „demokratische Tugendhaftigkeit“ sein könnte, offenbart eine geistige Verpöbelung, die man vielleicht im Fußballstadion verzeihlich finden würde, aber nicht auf Protestmärschen von Linken, denen man ja bei aller strukturellen Verlogenheit und aller traditionellen Totalitarismusneigung doch irgendwie immer noch eine gewisse gymnasiale Minimalintellektualität zutraut. Sehr zu Unrecht offenbar.
Ihr wollt „Gesicht zeigen“, heldenhaft eure „Zeichen setzen“, und zeigt doch wieder mal nur die herdenhafte Physiognomie des Wiederkäuers, Glaubensgewissheiten nachblökend, die euphorische Experten euch vorbeten. Aufgewiegelte Schlafwandler seid ihr, mobilisierte Massen, ein Volk so folgsam und fromm, wie man es sich nur wünschen kann als Regierung. Ein Volk von gratismutigen Widerständlern und grenzenlos „weltoffenen“ Nationalmasochisten, als sogenannte Zivilgesellschaft seit Tagen durch die Zentren deutscher Unistädte delirierend und anscheinend endgültig von allen guten (und geschichtsbewussten) Geistern verlassen. – Und ich wette, ihr seid alle geimpft. Maskenfanatiker und Freiheitsfeinde, alle wie ihr da steht, die gleiche zelotische Genossenschaft wie damals im Coronismus.
Was genau wollt ihr mit euren bunten Hassaufmärschen eigentlich erreichen? Klar, ihr wollt de-monstrieren, ihr wollt etwas zeigen, auf etwas hinweisen. Wem wollt ihr etwas zeigen? Wie immer „der Welt“? Eurer ganzen Menschengemeinschaft? Der imaginären Jury im Über-Ich, der richtenden Instanz in euren verkrüppelten deutschen Seelen? „Völker der Welt, schaut auf dieses Land! Wir sind nicht alle so wie diese Höckes, diese neuen Nazis, wir haben gelernt aus den Sünden der Ahnen, wir sind gute Demokraten geworden, und wir wären gewiss auch damals mutig gewesen, mit uns hätte es keinen Hitler und keinen Holocaust gegeben! Weltgeist, Gott, Universum, ewige Eltern, denkt nicht schlecht von euren deutschen Kindern!“ So irgendwie?
Oder traue ich euch damit schon wieder zu viel zu, eine viel zu interessante und komplizierte Innenwelt, die es gar nicht gibt in der blechernen Hohlheit und Maschinenhaftigkeit eures Massengemüts? Vielleicht seid ihr ja wirklich so leer und abgerichtet, wie ihr ausseht unter euren Propagandaparolen und Moralschablonen.
Und macht es euch eigentlich kein bisschen stutzig, dass euer zivilgesellschaftliches Engagement von allen Politikern der „demokratischen“ Parteien so vehement befürwortet und gefeiert wird? Kommt euch je der Gedanke, dass ihr passend zur dümmsten Regierung gerade das dümmste Volk abgebt, das diese Republik je hatte?
Wendet ihr euch an diese Politiker, damit sie ein Parteiverbotsverfahren auf den Weg bringen? Wendet ihr euch an die AfD, damit sie sich vor Angst auflöst oder sich aus Einsicht in die Verwerflichkeit ihres Tuns und Trachtens von der politischen Bühne zurückzieht? Oder wendet ihr euch einfach an euch selbst, um euch moralisch aufzugeilen am Anblick eures todesmutigen Anstands?
Ja, ihr seid mehr. Zweifellos. Die Campact-Kampagne „Wehrhafte Demokratie: Höcke stoppen!“ mit dem ausdrücklichen Ziel, dem höllischsten aller AfD-Politiker die Grundrechte zu entziehen, haben über 1,5 Millionen Deutsche unterschrieben.
Die Kampagne der konservativen Wochenzeitung Junge Freiheit mit dem Titel „NEIN zu einem AfD-Verbot! Zurück zu demokratischen Prinzipien!“ haben hunderttausend Deutsche unterschrieben.
Ich weiß nicht, ob diese Relation die realen Verhältnisse hinsichtlich der politischen Einstellungen der Menschen repräsentiert, aber zumindest zeigt sie eine reale 15-fache Überlegenheit in Sachen Tatkraft, Mobilisierbarkeit, Entschlossenheit an. Ihr „Wir-sind-mehr“-Totalitaristen seid (trotz all der Omas gegen rechts) zweifellos jünger, kampfbereiter, hemmungsloser als die tendenziell älteren, konservativen Altdemokraten, die im Grunde nur ihre Ruhe haben wollen. Euch gehört die Zukunft. Und eure Zukunft macht mir Angst.
Apropos: Als Erzähler und Berufsphantast habe ich keine großen Schwierigkeiten, mir immer mal ein paar Szenarien für die nähere Zukunft lebhaft auszumalen. Eine Zeit lang habe ich der Vorstellung eine gewisse Wahrscheinlichkeit eingeräumt, dass auf Höcke irgendwann ein Anschlag verübt wird, und dann brechen bürgerkriegsartige Unruhen aus, der bislang nur schwelende deutsche Glaubenskrieg wird mit Waffengewalt ausgefochten, bis eine Seite die andere niederringt oder bis die Einsicht sich durchsetzt, dass eine Aufteilung des Landes für alle Seiten das Vernünftigste wäre.
Diese Vorstellung (Vorstellung, nicht Wunsch!) wird mir immer unwahrscheinlicher. Nicht das mit dem Anschlag, den kann ich mir problemlos vorstellen. Ich bin ziemlich sicher, dass es hyperfanatisierte Leute gibt, die so was bereits planen, und in den tollkühnsten Passagen meiner Tagträume gibt es sogar Behörden, die längst davon wissen und es geschehen lassen würden, wenn es losginge. Aber ich glaube nicht, dass es danach große Unruhen geben würde. Ich glaube, die deutschen Oppositionellen, also vielleicht 25 bis 30 Prozent, sind einfach passive, behäbige, kampfesunlustige Leute, die man noch sehr lange unterdrücken, beschimpfen, demütigen kann, bevor sie sich trauen, die Schnauze aufzumachen oder gar handgreiflich für ihr Vaterland und ihre Verfassung zu streiten. Ihr könnt also eure machtgeschützte Mehrheitstyrannei weiterhin hemmungslos ausleben, schätz ich. – Ach, und apropos „hemmungslos“: Wisst ihr, ich bin nicht allzu erpicht, in eure unaufgeräumten Köpfe zu gucken, aber eines würde mich wirklich sehr interessieren: Hat ein einziger unter euch jemals einen Gedanken verschwendet an die Familie Höcke? Soweit ich weiß, gibt es da eine Frau und mehrere Kinder. Zählen die in eurer moralischen Menschenrechtsrechnung eigentlich überhaupt nicht? Auch wenn ihr der Überzeugung seid, dass Höcke Teufel und Hitler in einer Person ist, macht euch das gar nichts aus, dass da in irgendeinem thüringischen Dorf Kinder leben, die in ihren Träumen von Massen verfolgt werden, die ihren Vater am liebsten lynchen, steinigen, ins All schießen würden? Alles scheißegal, wenn es um die gute Sache geht? Alles Kollateralkleinigkeiten verglichen mit dem, was droht, wenn der Führer wiederkommt, sich reinkarniert in jenem finsteren Oberstudienrat, der damit droht, die geltenden Gesetze wieder anzuwenden? Ja, vermutlich ist euch all so was wirklich vollkommen egal, denn erstens kann dieses Monstrum ja wohl kaum ein liebenswerter Vater sein, und zweitens seid ihr dermaßen beseelt von der Gewissheit, dass der Revenant des Diktators kurz vor der Machtergreifung steht, dass ihr ihm wohl eher mit Gewalt und Gerichtsbeschluss die verkorksten Nazi-Kinder wegnehmen lassen würdet, als euch zu mäßigen in euren Phantastereien.
Wenn ich die Ehefrau von Björn Höcke wäre (auch das ist aktuell nicht mein dringlichster Wunsch!), ich würde meine Tage und meine Nächte damit verbringen, Listen anzulegen. Listen mit Namen und Gesichtern und Aussagen, Listen von all den Leuten, die den Menschen, den ich liebe, über so viele Jahre mit Dreck und Hass und Infamie überkübelt haben.
Wenn ich mir vorstelle, man würde meiner Frau all das antun, was man dem Menschen Höcke seit Jahren antut – welcher, soweit mir bekannt ist, bislang keinem Mitbürger je auf juristisch relevante Weise ein Haar gekrümmt hat –, dann würde ich mein Leben wahrscheinlich nur noch der schnellstmöglichen Verwirklichung des Traums von Machtergreifung und Vergeltung widmen. Zum Glück bin ich nicht die Frau von Björn Höcke, zum Glück ist meine Frau keine rechte Politikerin.
Wenn ich mir überlege, welche Summen von Antipathie, Verwünschungsgeifer, Auslöschungswut sich in den letzten zehn Jahren über die Seele dieses wohl zweitmeistgehassten Deutschen aller Zeiten ergossen haben, dann weiß ich wirklich nicht, woher er, sollte er je zur Macht gelangen, die übermenschliche Gelassenheit und Versöhnungsbereitschaft nehmen sollte, die es bräuchte, um tatenlos von all dem abzusehen, was der gemeine Filmzuschauer sich im Genre der Racheorgie in solchen Fällen mit so großer Genugtuung anzusehen pflegt.
Ich glaube nicht, dass Höcke der Satan ist, den ihr aus ihm macht. Aber ich glaube auch nicht, dass er dieser unvorstellbar versöhnungssüchtige Übermensch ist, der Millionen von Hatern einfach so sein Kanzleramt zu Friedenspfeife und Eierkuchen öffnen würde. Vielleicht habt ihr Glück, und er wird mit den Jahren einfach ein wenig vergesslich.
Ja, ihr seid mehr. Ihr seid Millionen gegen einen. Allein das würde für einen Menschen des Ausgleichs schon fast reichen, um sich auf die Seite des Einen zu stellen. Es sei denn, er wäre wirklich Hitler. Und hier liegt das Problem. Ich sehe, wie ihr euch die Haare rauft, ich höre, wie ihr mir aus millionenfacher Kehle entgegenhaltet: „Aber er ist Hitler! Das ist die Wirklichkeit! Nix wäre, nix Konjunktiv! Das ist Hitler in heutiger Gestalt!“
Tja, und das ist nun mal eine Glaubensfrage. Ihr glaubt es, ich glaube es nicht. Ihr könnt so viele AfD-Experten und Extremismusforscher fragen, wie ihr wollt. Ihr könnt noch so viele Faktenchecks und Verfassungsschutzberichte lesen: Es gibt in dieser Frage kein Wissen. Nichts Gesichertes und nichts Erwiesenes. Es gibt nur Auslegungen und Interpretationen, Plausibilitäten und Glaubhaftigkeiten. Kein Gericht hat je das angebliche „Faktum“ bestätigt, dass Höcke ein Faschist ist. Man hat lediglich festgestellt, dass es im Rahmen der Meinungsfreiheit zulässig ist, ihn so zu nennen. Aber mit solchen Kleinlichkeiten wollt ihr euch nicht aufhalten, wenn es darum geht, eure Moralität unter Beweis zu stellen. Ihr glaubt, was ihr glauben wollt. Ihr seid Gläubige, zivilreligiöse Fanatiker, kein Argument wird euch euren passgenau zurechtstilisierten Popanz madigmachen können. Ihr braucht euren Höcke wie ihr euren Hitler braucht, ihr braucht die AfD wie ihr die NSDAP braucht, ihr braucht das Absolute, das Endgültige und Gesicherte, weil euch alle alten und traditionellen Sicherheiten, alle Gültigkeiten abhandengekommen sind. Ihr braucht einen Gegengrund für eure aufgesetzte Gutheit. Ihr braucht euren Anstand, weil euch der Mut zur Wirklichkeit fehlt. Leere Seelen seid ihr, letzte Menschen. Derealisiert wie alles, was flieht vor den Widersprüchen im Gegebenen und Gemachten. Grundlos gegen alles, was sich frei im Eigenen hält. Gegen alles, was weiterleben will, was sich halten will in der Schwebe, im schönen, schmerzhaften Trotzdem. (Ich weiß, das klingt für Leute, die an Parolen und Slogans gewöhnt sind, alles wie Fremdsprache.)
Ja, ihr seid mehr. Mehr denn je. Und beängstigender denn je.
Nachtrag:
Meine Erstleserin gab nach Lektüre dieser kleinen „Publikumsbeschimpfung“ (schön wär’s, wenn die hier Angesprochenen mein Publikum wären …) zu bedenken, dass meine einfühlende Solidarisierung mit Höcke vielleicht etwas übertrieben sei, schließlich hätten doch viele Politiker mit Anfeindungen zu kämpfen, Merkel, Lauterbach, seinerzeit Kohl … da wurde auch nicht nur mit Samthandschuhen kritisiert, sondern auch übelst lächerlich gemacht, heftig angefeindet und bedroht.
Ja? Auf diesem Niveau, in dieser Intensität, Kontinuität und totalen Hemmungslosigkeit? Nicht, dass ich wüsste.
Muss ein Lauterbach sich täglich anhören, er sei vergleichbar mit dem schlimmsten Massenmörder der deutschen Geschichte? Musste er sich jahrelang ungestraft einen Fascho, einen Nazi, ein braunes Stück Scheiße oder sonst was nennen lassen? Musste er es aushalten, dass die gesamte Öffentlichkeit, der gesamte Medienmainstream (und ein nicht geringer Teil auch der alternativen Medien) ihn kontinuierlich verdammte, ihn verwünschte, einhellig die Meinung in die Welt posaunte, ihn als Person dürfe es gar nicht geben? Ist jemals – ich frage das allen Ernstes – einem einzelnen Menschen so viel Hass entgegengeschlagen wie Björn Höcke? Vielleicht Trump, das kann ich nicht beurteilen. Hitler jedenfalls nicht, der wurde vielleicht mehr gehasst, aber dieser Hass durfte ihm nicht in dieser Offenheit ins Gesicht gekotzt werden wie der, den Höcke sich anhören muss, sobald er den Fernseher anmacht oder einen Blick ins Internet wirft. Ich weiß nicht, wie ein Mensch das aushält.
Ich muss es immer wieder bedauern, dass es so weit kommen musste, dass ausgerechnet ich in die Rolle des Höcke-Verteidigers geriet. Sorry, aber ich kann nicht anders. Ich habe einfach noch nie eine solche Mischung aus Irrationalismus und massenhafter Niedertracht mitansehen müssen, einen solchen Hexenwahn, eine solch enthemmte Lust an der Dehumanisierung. (Es gab im Zusammenhang mit den Verbrechen der RAF das Skandalon der „klammheimlichen Freude“, wenn es mal wieder einen von den „Richtigen“ getroffen hatte. Heute ist gar nichts klammheimlich. Ich glaube, wenn ein Attentat auf Höcke verübt würde, gäbe es Autocorsos und Volksfeste.)
Ich bin kein Höcke-Fan. Ich hätte kein Problem damit, wenn von 84,7 Millionen Deutschen 84,6 Millionen Höcke ablehnen, kritisieren, ihn nicht wählen, ihn per Nichtbeachtung in die politische Bedeutungslosigkeit entlassen. Ich habe aber ein Problem damit, wenn sich blind-links ideologisierte und atavistisch entfesselte Massen in einer nahezu psychotischen Fixierung auf ein Hassobjekt stürzen, auf einen Sündenbock, den sie geschlachtet sehen wollen. Und das ist kein politisches Problem, sondern ein sozialpsychologisches und also ein Medien- und Mentalitätsproblem. So wie alle unsere heutigen Probleme.
© Marcus J. Ludwig 2024
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