Vleisch und Vurst und Veganaise

Ein schmackhafter Streifzug über die Krisenherde der gastronymischen Aneignungskultur  


Die Sprachphilosophie der Ersatzprodukte ist ein Schlachtfeld voller hitziger Rechthabereien, bedrohter Gewissheiten und akademisch umzankter Fundamentalfragen. Ist Hafermilch Milch? Ist eine Tofuwurst eine Wurst? Ist ein Seitanschnitzel ein Schnitzel? Ist Erdnussbutter nicht in Wahrheit Erdnussmargarine? Existenziell brenzlige Denksportaufgaben, die schon ganze ontologische und onomastische Oberseminare in die Notaufnahme gebracht haben. Kabelbrände im Hirnschrittmacher sind an der Tagesordnung, rauchende Fontanellen, Glutnester in Broca- und Wernicke-Arealen, geschmolzene Frontallappen – es ist nicht ganz so dramatisch wie bei Monty Pythons tödlichem Witz, aber schon nah dran. Sobald man anfängt, über die gastrosophische Sprachverwirrung nachzudenken, kreiselt das Kleinhirn in der Schädelkapsel wie die sprichwörtliche Zimtschnecke im Teilchenbeschleuniger. Man könnte es sich leichtmachen und Wittgensteins linguistischem Imperativ folgen: „Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man kosten.“ Nein, Moment, es hieß: „Was man nicht in Worte fassen kann, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.“ Oder so ähnlich. Aber hab ich dieses hochdotierte Bloggeramt etwa angenommen, um es mir leichtzumachen? – Nun, gut, ja, im Prinzip schon, aber nicht, wenn es um die etymologische Wurst geht! Da muss Ordnung rein und sprachgeschichtliche Stringenz! Und ordentlich Majoran [1], versteht sich.

Also: Dürfen vegane Lebensmittel so heißen wie die, die sie imitieren? Darf sich alles Wurst nennen, was ungefähr so aussieht? Oder ist diese frikativ-raugaumige Buchstabenfolge ausschließlich reserviert für gequirlte Tierleiche, in Darm gepresst? Ist das Lexem Käse wesenhaft mit den vergorenen Drüsensekreten weiblicher Säugetiere assoziiert? Dürfte unter dem Label Buttercremetorte auch eine geschmacks- und kalorienidentische Ramacremetorte den Tresen des Konditormeisters passieren? Und vor allem: Was war zuerst: Ei oder Erbsenprotein?
Ich würde mal vorschlagen, wir machen uns jetzt alle schnell noch ein kühles, namensrechtlich ganz und gar unstrittiges Brunch-Bierchen auf, und dann schaun mer mal, wer welche Wörter demnächst noch wofür verwenden darf, und wovon man besser schweigt und genießt. Aber keine Sorge: Zum Glück ist die Lage bei Leichenschmaus und Tofutier sehr viel eindeutiger als etwa beim ethisch explosiven People-of-Color-Kuss oder beim Sinti-Schnitzel.

Fangen wir mit etwas ganz Einfachem und Eindeutigem an, zum Beispiel mit der wohl populärsten der fünf europäischen Grundsaucen, der Mayonnaise. Der Name dieser dicklichen, kalten Tunke aus Öl, Zitronensaft/Essig, Gewürzen und Eigelb, leitet sich mutmaßlich von der menorquinischen Stadt Mahón ab, deshalb hieß die weiße Frittenpimpe früher auch Mahonaise. Produkte, die ihre Herkunft im Namen tragen (vgl. Sauce Hollandaise, Béarnaise, Lyonnaise etc.), darf man bekanntlich nicht einfach so verändern. Man kann nicht eine Emulsion aus Tapetenkleister, Kerosin und Kokosnüssen zusammenmixen und dann behaupten, das sei Mayonnaise. Also darf man auch eine Sauce ohne Ei nicht Mayonnaise nennen.
Korrekterweise müsste man Veganaisen, also Saucen, die aussehen und schmecken wie Mayonnaise, aber ohne tierliche Zutaten auskommen, nach der Stadt benennen, in der zum ersten Mal eine solche Rezeptur erfolgreich angerührt wurde. Das wird gewiss so um 1985 passiert sein, vermute ich, müsste mal jemand recherchieren. Sehr praktisch wäre es natürlich, wenn der kulinarische Durchbruch seinerzeit in der französischen Stadt Bayonne erfolgt sein sollte, dann könnte das Produkt fortan Bayonnaise heißen. Sollte es in Köln geschehen sein, hätten wir eine Colonaise. Man versteht das Prinzip, nehm ich an.
Möge der Herr also verhüten, dass die Recherche nach Fürstenfeldbruck oder Neuharlingersiel führt …

Ebenfalls nicht so wahnsinnig schwierig ist eigentlich die Wurstfrage: Wurst kommt (wahrscheinlich, der Etymologen-Rat der Regierung rätselt und modelliert noch …) von wirren, mittelhochdeutsch werren, althochdeutsch werran, was so viel wie verwickeln, durcheinanderbringen, verdrehen bedeutet und somit wohl auf den charakteristischen Schritt im Entstehungsprozess des herzhaft-phallischen Nahrungsmittels verweist. Was genau da allerdings zur Wurst gedreht und gewickelt wird, ist gänzlich undefiniert. Dass es sich traditionell um zermanschte Fleischreste handelt (denen allerdings auch immer schon größere Mengen pflanzlicher Strecksubstanz beigemischt wurden, z.B. Getreideschrot oder Erbsmehl), mag sein, ist aber kein Muss. Die Wurst mit Fleischanteil ist also, korrekt gesagt, eine Fleischwurst, und die vegane Wurst ist eine Pflanzenwurst, oder, je nach dominantem Ingrediens, eine Soja-, Weizen-, Linsen- oder Lupinenwurst.

Spezialfrage: Darf eine vegane Wurst Salami heißen?
Expertenantwort: Ja loggisch, denn es handelt sich mitnichten um ein Produkt von der legendären Seeschlachtinsel Salamis, sondern um eine schnöde gesalzene Schlackwurst, man könnte auch sagen: um eine Salzwurst, deren Name genau wie der Salat auf lat. sal = Salz zurückgeht. Und salzen kann man ja wohl so ziemlich alles, und gerade, wenn man eine Wurst herstellen will, sollte man das auch tun.

Anders verhält es sich mit der Schinkenwurst, denn der Schinken ist ganz unmissverständlich ein Körperteil von Lebewesen, die mit fleischigen Beinen gesegnet sind, und dazu gehören Pflanzen, soweit ich informiert bin, in der Regel nicht. Also: vegane Schinkenwurst ist irreführend, da muss man sich eindeutig was anderes ausdenken. – Wenn ich jetzt ein veganes Start-up gründen würde, würd ich mein Schinken-Style-Produkt vielleicht Deftie, die Drallwurst nennen, oder so. Oder Zünfty, die herzhafte Derbwurst aus dem Pfeffergau, und ob da dann Schinken oder Zebrafinken oder Dinkelpupinken drin verwurstet sind, interessiert eh keinen mehr, weil allen, die am Kühlregal entlangflanieren, schon beim Gedanken an eine dicke Scheibe Deftie (mit dick Senf drauf!) das Wasser im Munde zusammenläuft.

Ein ebenfalls höchst delikater Fall ist übrigens das Mett, das es ja dankenswerterweise auch schon in einer Rügenwalder Pflanzen-/Chemie-Version gibt. Der gemeine Aasköstler beansprucht den fleischfarbenen Terminus zwar gewohnheitsmäßig für sein rohes, bandwurmogenes Schweinehack, doch Mett (germ. mati) heißt eigentlich nichts weiter als Speise. Verwandt ist das Wort mit der Mast, woraus sich hübsche historische Bezüge zum Messer, zum Maat, zum Mus, zum Maßliebchen und zum Mastdarm ergeben.

Vom Darm hätte ich jetzt theoretisch elegant-zweideutig zur Wurst überleiten können, aber die hab ich ja dummerweise schon abgehandelt. Wie aber kommt man vom Darm zur Frikadelle? Am besten wohl über den Löwenköttel – so habe ich in mehreren rheinischen Tränkstuben jenen charakteristisch geformten Brutzelklops bezeichnet gefunden (wenngleich stets nur akustisch: „Biggi, Engelschen, schmeißte mal noch n Tellerschen von de Löwenköttel röbber!“), den man andernorts meist Frikadelle nennt. Sekunde – sagte ich „Frikadelle“?
Die Frikadelle ist eine Dissimilation (das ist das Gegenteil von Assimilation) der italienischen Frittatella, welche wiederum eine Verkleinerungsform der Frittata ist, und Frittata ist dem Wortsinn nach einfach etwas Gebratenes. Die Frikadelle ist nichts anderes als ein Bratling. Woraus die Bratmasse besteht – aus Pfannkuchenteig, gequollenem Getreide oder pürierten Hülsenfrüchten, aus gewolftem Tierkadaver oder cultured meat aus Frankensteins Gewächshaus – ist völlig nebensächlich.

Noch unspezifischer ist die Bulette, welche nichts weiter als ein Kügelchen ist (französisch boulette, Verkleinerungsform von boule). Die Falafel ist mit gleichem Recht eine Bulette wie das Fleischpfanzerl, die Mozartkugel oder der Nasi-Ball. Und natürlich der Löwenköttel.

Ganz und gar läppisch und bestenfalls pseudoproblematisch sind generell Fressalien, die ihre Bezeichnung ohne jeden Bezug zur Substanz erhalten haben und bloß mit Blick auf Verarbeitungs- und Zubereitungsmerkmale benannt wurden. Schnitzel und Steak, beispielsweise. Ein Schnitzel ist die Verkleinerungsform von Schnitz. Ein Schnitz ist ein Stück, das von einem Ganzen abgeschnitten wurde, meist ist dies Ganze ein Stück Obst. Die Schnitzelfans, die behaupten, ein panierter Sojalappen dürfte nicht Schnitzel heißen, sollten sich erstmal beim Apfel und beim Kohlrabi entschuldigen. Das Schnitzel ist nicht wesenhaft fleischig. Punkt.

Beim Steak ist es ähnlich. Das Steak ist ein Gestecktes. Ein Stück Irgendwas, das auf einen Spieß gesteckt und überm Feuer gegrillt, geröstet, gebrutzelt wird. Wenn man eine Paprika auf einen Grillspieß steakt, dann könnte man auch das ohne jeden Gewissensbiss ein Steak nennen. Ich hab allerdings noch nie das Bedürfnis dazu verspürt. Pflanzliche Grillgüter wie das Wheaty Virginia Steak oder das Green Mountain Plant Based Steak jedenfalls sind genauso reguläre Steaks wie die traditionellen argentinischen Leichenteile.

Bei der Milch wird es nun aber diffizil und bedarf daher einer kleinen Ausholung: Herr von Loewenstern – der aufs Ganze gesehen gewiss sehr ehrenwerte Robert von Loewenstern – äußerte kürzlich in dieser diffizilen Angelegenheit eine leicht unterkomplexe, aber höchst zitierwürdige Auffassung: „Hafermilch. Bisher lehnte ich die Grütze instinktiv ab, obwohl ich sie noch nie verkostet hatte. Genau wie Sojamilch, Mandelmilch, Reismilch, Dinkelmilch, Nussmilch, Lupinenmilch und andere hypermoderne Milche. Meine Verweigerungshaltung ist das Resultat schulischer Indoktrination. Obwohl ich Bio frühzeitig zugunsten von Physik abwählte, erinnere ich mich: Milch kommt aus Drüsen. Wenn die an Tieren hängen, heißen sie Euter. Bei Menschen nennt man sie Brüste, Möpse, Titten, Glocken, Ohren oder Hupen. Hafer hat keine Hupen. Auch keine Euter. Deshalb kann er keine Milch geben. Ergo ist Hafermilch eine Fälschung, und Fake-Milch darf nicht Milch heißen, weil das Betrug am Kunden wäre. Logisch. Das fand die Regierung bisher auch. Daher gilt in Deutschland und sogar EU-weit, dass man Süppchen aus Hafer, Soja, Mandeln, Reis, Dinkel oder Lupinen nicht als ‚Milch‘ verkaufen darf. Im Supermarktregal stehen die Plörren deswegen als ‚Drink‘.“ [2]
Abgesehen mal davon, dass dies ein schönes Beispiel für die gewaltmindernde Kraft kultivierter Sprache ist – denn von Rechts wegen muss man Leuten, die solch ungeheuerliche Behauptungen aufstellen, eher die Tastatur in den Rachen rammen als gütlich über ihre burlesken Bosheiten zu schmunzeln –, abgesehen von der literarischen Qualität also, ist das eine Auffassung, die den semantischen Feinschmecker unmöglich befriedigen kann.

Was ist Milch?
Milch ist zunächst das, was beim Melken rauskommt: eine weißliche, leicht süße und nahrhaft-fettige, in den Milchdrüsen von Frauen und sonstigen weiblichen Säugetieren nach dem Gebären sich bildende Flüssigkeit, die von Neugeborenen und Jungtieren als Nahrung aufgenommen wird. Melken, althochdeutsch melchan, bedeutet so viel wie abstreifen, wischen. Der lebensweltliche Bezug zur Zitzen-, Schemel- und Eimer-Sphäre ist nicht zu leugnen.

Milch ist darüber hinaus aber auch ein seit Ewigkeiten (nicht erst seit Berliner Veggie-Hipster-Zeiten) etabliertes Wort für diverse andere Flüssigkeiten, die weiß und milchig sind: Sonnenmilch, Kokosmilch, Fischmilch, Gletschermilch, Kalkmilch, Kautschukmilch, Schwefelmilch. Die Erdmilch ist jedem Thomas-Mann-Kenner geläufig. Über solche Milche hat sich noch nie jemand aufgeregt oder gar ihre Umbenennung wegen mangelnden Drüsenhintergrunds gefordert.

Hinzu kommt, dass ja auch die gemolkene Milch nicht so univok ist, dass man auf Differential-Morpheme verzichten könnte: Bei den von Menschen genutzten Mammaliamilchen muss zwischen Kuhmilch, Ziegenmilch, Schafsmilch, Büffelmilch, Stutenmilch, Eselsmilch, Rentiermilch unterschieden werden, nicht zu vergessen die gute Wolltapir-, Ringelrobben- und Kanalrattenmilch sowie schätzungsweise sechstausend weitere nahrhafte Zitzenprodukte. Bei der Kuhmilch muss man nochmal nach H-Milch, Frischmilch oder Rohmilch, Vollmilch oder fettarmer Milch differenzieren. Und ich gehe mal davon aus, dass einem handelsüblichen Mitteleuropäer, der jahrzehntelang an seine industriell konfektionierte Kuhmilch gewöhnt ist, auch eine frisch gezapfte Kamelmilch erst mal ähnlich irritierend und plörremäßig schmecken wird wie ein/e Sojamilch/Sojadrink. Beim Geschmack ist halt viel Gewohnheit im Spiel.

Jedenfalls: Meinem Sprachgefühl zufolge überwiegt in der semantischen Komponentenanalyse der Aspekt „Milchigkeit“ deutlich den Aspekt „Gemolkenheit“, insofern bezeichne ich das Zeug, das ich mir daheim in meinen trommelgerösteten Bio-Schümli rühre, weiterhin bar aller Skrupel als Milch.
Und wenn ich samstags in der altstädtischen Kaffeebar was bestelle, ist es mir persönlich ziemlich latte, ob die tätowierte Trulla mit den Tunnelohrringen mich zwischen Milch oder Haferdrink entscheiden lässt oder zwischen Kuhmilch oder Hafermilch. Hauptsache, ich bekomm ein feistes Stückchen veganen Nusskuchen dazu.

Im Übrigen halte ich es ohnehin für längst ausgemacht, dass sich im Sprachgebrauch Sojamilch, Hafermilch, XY-milch durchsetzen wird. Das Zeug sieht aus wie Milch, und es wird genau so gehandhabt wie Milch, es ist ungefähr so zusammengesetzt wie Milch, und es schmeckt auch ungefähr so. [3] Und deshalb wird niemand das Zeug jemals Drink nennen. Ein Drink ist das, was man nach einem beschissenen Tag unter Zugabe von Eiswürfeln in einen Tumbler gießt und sich dann den Schlund runter kippt. Wer seinen Kaffee oder gar sein Müsli mit einem „Drink“ zubereitet, der hat – mit dem seligen Lagerfeld gesprochen – wahrscheinlich längst die Kontrolle über seine Jogginghose verloren.

Und dann gibt’s ja auch noch veganen Käse. Da gilt eine ganz einfache Regel: Wenn Fermentation, dann Käse. Käse (lateinisch caseus = Gegorenes) heißt nicht, dass da Milch drin sein muss, sondern, dass da irgendwelche Bakterien gären und reifen müssen. Deshalb darf auch milchpulverhaltiger Analog-Käse nicht als Käse verkauft werden, sondern muss mit Begriffen wie „Pizza-Mix“ oder „Lebensmittelzubereitung zum Überbacken“ deklariert werden. Hingegen gibt es pflanzliche Produkte auf Cashew-Basis, bei denen sehr wohl eine Fermentation stattfindet und die man so gesehen eigentlich Käse nennen könnte. Ist aber verboten. Und da das ganze Thema lebensmitteltechnisch echt kompliziert ist, rate ich hier direkt zur Kapitulation. Am besten einfach eine neue Produktkategorie einführen, zum Beispiel Kasi (nach althochdeutsch chāsi, kāsi). Oder Cashee, Kofferwort für Cashew Cheese. Dann könnte man – wollte man ein Cashee-Start-up gründen – natürlich auch gleich ein Produkt namens Käschi auf den Markt bringen, oder noch besser Kääschi, das klingt nach einem extrem schmackhaftem Schweizer Käse, find ich … morgens nach einer Runde Frühschwimmen im Vierwaldstättersee nach Obergschwend hinaufstapfen, mit der Mini-Bergbahn zum Rigi-Burggeist hochgondeln, glückliche Kühe umarmen und dann ein schönes Kääschi-Semmeli verzehren – ich seh den Werbespot schon vor mir (Obacht: Wer mir meine hier mühsam ausgedachten Markennamen klaut, der wird verklagt bis zur letzten Instanz und bis zum jüngsten Gericht!).

Wer aber von Käse spricht, der darf bekanntlich von der Butter nicht schweigen, und von der Sahne erst recht nicht. Das mit der Butter kann ich ganz kurz machen: No way. Butter ist prinzipiell immer vom Tier. Butter kommt von mittelhochdeutsch buter kommt von althochdeutsch butera kommt von lateinisch butyrum kommt von griechisch boútyron kommt von boũs = Kuh, Rind. Vegane Buttercremetorte ist also nach allen bekannten Logiken des Universums ausgeschlossen. Möglich bleibt die Margarinecremetorte. Die ist übrigens – wie ich nach eigenen konditorischen Experimenten bestätigen kann – durchaus mach- und essbar (es ist ja letztlich alles essbar, sofern drumherum ausreichend Marzipan, Rum, Krokant, Schokolade und Amarenakirschen zum Einsatz kommen), und sie schmeckt noch besser, wenn man sie einfach Cremetorte nennt.

Zur Sahne kann man auch nicht viel sagen. Die sprachgeschichtliche Herkunft ist skandalöserweise noch immer ungeklärt (wozu bezahlt der Steuerzahler eigentlich mittlerweile gefühlte 947 etymologische Lehrstühle an deutschen Universitäten?). Die paar veganen Ersatzsahnen, die es gibt, nennt hinter vorgehaltener Hand jeder, den ich je darüber habe reden hören, Sahne, obwohl das rechtlich total verboten ist. Mir fehlt gerade echt die Zeit, das genau zu recherchieren, aber ich meine, der europäische Sahnegerichtshof hätte neulich wieder mal eine Firma niederbrennen lassen, die auf ihre Schlagcreme-Sprühdose ganz klein das Wort Pflanzensahne hatte drucken lassen. Da verstehen die bei diesem Tribunal in Den Haag echt gar keinen Spaß.

Ebenfalls gänzlich humorlos wird es bei veganen Hähnchen-Keulen. Ja, die gibt es wirklich. Und da ist dann ausnahmsweise auch wirklich die vorwurfsvolle Verwunderung der Fleischesser angebracht, wenn sie in der Talkrunde oder auf der Grillparty standardmäßig fragen, warum Pflanzenfresser sich nicht mit Gemüse begnügen, sondern so besessen davon sind, echte Fleischwaren zu imitieren. In der Tat: einen Körperteil eines Tieres aus texturierten Pflanzenproteinen nachzubauen ist psychologisch gesehen hochgradig fragwürdig. Wenngleich auch nicht sooo viel fragwürdiger, als es diverse andere kulinarische Attrappen sind, Äpfel aus Marzipan, Rosen aus Tomaten, Spaghetti aus Zucchini, etc., und ich kann mich nicht erinnern, dass es einem Molekularkoch je zum Vorwurf gemacht worden wäre, dass er geckigerweise Kaviar aus calciumchloridierten Melonen serviert.

Der Fake-Hähnchenschenkel ist jedenfalls, soweit ich sehe, der einzige Fall von veganer Organfälschung. Es hat wohl noch niemand einen Schweinekopf oder eine Rinderzunge per 3D-Tofu-Drucker erstellt. Und ansonsten geht der Imitations-Vorwurf, wie wir gesehen haben, ohnehin ins Leere, denn eine vegane Wurst ahmt keine „echte“ Wurst nach, sie ist eine echte Wurst, nur halt eine andere Art von Wurst. Und das gilt, neben den schon behandelten Darreichungsformen (Schnitzel, Bulette etc.), auch für das Filet, die Roulade, das Medaillon, den Döner und das Gyros, welches übrigens mit dem Giro (Kreis, Umlauf) verwandt ist, und schlichtweg den Drehvorgang beim Braten beschreibt. Was sich da dreht, ist sekundär.

Für Cevapcici und Kebap reichen meine gefühlten Kenntnisse nicht ganz aus, tendenziell würde ich aber dazu tendieren, auch hier, ähnlich wie beim Steak, den Bedeutungsakzent mehr auf dem Spieß als auf dem Fleisch zu verorten.
Für das Kotelett (französisch côtelette = Rippchen, Verkleinerungsform von côte von altfranzösisch coste von lateinisch costa = Rippe (der erfahrene Hypochonder kennt die herzinfarktimitierende Intercostalneuralgie)) gilt dasselbe wie für das Gulasch (von ungarisch gulyás = Rinderhirt und hús = Fleischgericht), sowie die Haxe, die Ochsenschwanzsuppe und die Weinbergschnecke: keine vegane Version verfügbar. Forget it.

Der Burger (auch Hamburger, Steak nach Hamburger Art, Hamburger Sandwich) ist in seinen pflanzlichen Erscheinungsformen schon relativ fest etabliert, jedoch etymologisch erstaunlich anspruchsvoll, und entstehungsgeschichtlich – so viel lässt sich sagen – dermaßen durchgängig mit Rindergehacktem konnotiert, dass ich doch vielleicht vorschlagen würde, für seine veganen Varianten versuchsweise auf den neutralen DDR-Fachterminus Grilletta zurückzugreifen. [4]

So, nun aber genug der appetitlichen Worte, die Bratpfanne ruft, es gibt Wraps mit Rote-Bete-Hummus, provencalischem Grillgemüse und knusprigen Sesam-Minz-Frikandeln. Und danach vielleicht noch ein veganes Mandel-Magnum – aber darf man Magnum sagen zu so einem gefakten, vom woken Zeitgeist erzwungenen Pseudo-Eis? Sollte echtes Eis nicht auch echte Milch und somit gewisse Mindestmengen an gesättigten Fettsäuren, Antibiotika, Betablockern, synthetischen Geschlechtshormonen, Salmonellen, Listerien und Euterentzündungseiter enthalten? Aber mit dergleichen Miesepetrigkeiten befassen wir uns besser ein andermal …

Nur eine Frage gilt es noch zu beantworten, im Grunde die Frage aller Fragen: Was ist denn eigentlich mit Fleisch? Nun, hier belasse ich es einfach mal bei einem (tendenziös verkürzten) Zitat aus dem Duden[5]: Fleisch, das; mittelhochdeutsch Vleisch = (Frucht)fleisch, Leib. Herkunft ungeklärt

 

 

 

[1] Majoran: beliebter Gewürzklassiker aus der Familie der Lippenblütler, auf Schnodderdeutsch auch „Wurstkraut“ genannt.

 

 

[2] https://www.achgut.com/artikel/hafer_hat_keine_hupen

Robert von Loewenstern ist übrigens der, der sich seinerzeit durch eine geradezu geniale staatskundliche Merkregel zum demokratischen Rechtsstaat unsterblich gemacht hat: „Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf darüber abstimmen, was es zum Abendessen gibt. Rechtsstaat ist, wenn das Schaf das Abendessen überlebt.“

https://www.achgut.com/artikel/merkel_und_ihren_apokalyptischen_reitern_geht_der_gaul_durch

 

 

[3] Viel ernster als diese ganzen Benennungsproblemchen ist natürlich die Geschmacksfrage, und das nicht nur beim Thema Milch und Milchartige. Ich fürchte, an eben dieser Schwelle scheitert manch guter Wille. Nach über zwanzig Jahren und circa zwanzig Billionen probierten Produkten, muss ich sagen: Vieles, was einem als Veganer angeboten wird, schmeckt echt zum Kotzen. (Wirklich: Es werden in deutschen Lebensmittelgeschäften Parmesan-Ersatze angeboten, die hundertprozent nach Erbrochenem schmecken. Dass das offenbar weder den Herstellern, noch deren Testessern und nicht einmal den Einkäufern der Supermärkte auffällt, gehört für mich zu den großen Welträtseln. Irgendwer müsste doch an irgendeiner Stelle der Kette mal sagen: „Leute, das kann man keinem zumuten, das ist total widerlich.“) Aber zum Glück weiß ich mittlerweile auch ziemlich genau, welche Sachen passabel bis gut schmecken. Falls unter meinen aufgeschlossenen Lesern welche sein sollten, die mit einer tierqualfreien Lebensweise liebäugeln, hier ein paar Tipps (wirklich nur ein paar wenige zum Ausprobieren – falls ich wider Erwarten wäschekörbeweise Mails von Tipp-Bedürftigen bekommen sollte, poste ich dann vielleicht auch mal eine längere Liste):

 

 

Milch

Der Pflanzenmilch-Markt ist mittlerweile unüberschaubar, die sensorischen Unterschiede sind immens, das meiste, was ich im Laufe der Jahre probiert habe, musste ich wegschütten, weil es nicht schmeckt oder im Kaffee einfach nicht funktioniert. Leider finden in den meisten Cafés suboptimale Produkte Verwendung.

Mein Favorit:

dmBio Barista Hafer-/Soja-Milch

Profi-Tipp, weil viele das nicht wissen: Man muss ordentlich schütteln, bevor man das in den Kaffee (oder ins Müsli oder sonst wohin) gießt. Oder einfach per Milchaufschäumer aufschäumen.

https://www.dm.de/dmbio-pflanzendrink-hafer-drink-barista-mit-soja-p4066447051384.html

 

 

Käse

SimplyV, würzig

Gibt’s mittlerweile überall

https://www.simply-v.de/de/produkte/geniesserscheiben-wuerzig

 

Der einzig genießbare vegane Parmesanartige:

https://www.vegusto.ch/product_details/403

Leider nur bestellbar

 

 

Wurst

Rewe veganer Aufschnitt Typ Salami (schmeckt nicht so wirklich wie Salami, aber trotzdem gut)

https://shop.rewe.de/p/rewe-beste-wahl-vegane-salami-80g/8516144

 

Taifun Papillon

https://www.taifun-tofu.de/de/produkte/tofu-aufschnitt-papillon

 

Wheaty Dry-Aged Italian Style (eine Art vegane „Bresaola“)

www.wheaty.de/produkt/dry-aged-italian-style

 

Extremst schmackhaft:

https://www.vegusto.ch/product_details/60

Leider nur bestellbar

 

Taifun Tofiner

https://www.taifun-tofu.de/de/produkte/tofu-wuerstchen-tofiner

Sehr empfehlenswert als Einlage in diesem Erbseneintopf:

https://www.erasco.de/produkte/eintoepfe/vegetarisch/erbsen-eintopf-vegetarisch-vegetarisch/

 

 

Vleisch

Wheaty Virginia Steak

www.wheaty.de/produkt/veganes-steak-virginia

Rügenwalder Vegane Mühlen Frikadellen

https://www.ruegenwalder.de/produkte/vegane-muehlen-frikadellen

 

Like Döner

https://likemeat.com/de/produkte/like-doener/

 

Greenforce Vegane Mini-Frika

https://shop.rewe.de/p/greenforce-vegane-mini-frika-180g/8678407

 

 

Mett

Rügenwalder Veganes Mühlen Mett Fein

https://www.ruegenwalder.de/produkte/veganes-muehlen-mett-fein

Auf Brötchen mit schön Zwiebelchen drauf …

 

 

Sahne

Schlagfix sprühfertige Schlagcreme

https://www.velivery.com/de/vegane-lebensmittel/milchalternativen-und-desserts/desserts-und-eis/schlagfix-spruehfertige-schlagcreme-200ml

Gibt’s mittlerweile in fast jedem Supermarkt. 

Ein Muss zum veganen Apfelstrudel von Coppenrath und Wiese:

https://www.coppenrath-wiese.de/produkt/apfel-neu.aspx

 

 

Sonstiges

Für Tofu-Hater:

Basilikumtofu (es muss der von Taifun sein!)

https://www.taifun-tofu.de/de/produkte/tofu-basilico

+ Remoulade (es muss die von Biovita sein!)

https://biovita.info/Produkte/index.php/;focus=STRATP_cm4all_com_widgets_Shop_23321893&path=?subAction=showProduct&categoryId=183427&productId=872974#STRATP_cm4all_com_widgets_Shop_23321893

Zubereitung: Man toaste zwei Scheiben veganen Dreikorn-/Vollkorn-Toasts, lasse sie abkühlen, bestreiche sie mit der Remoulade und belege sie dann mit je drei Scheiben (à 5-8mm) des Tofus.

Schmeckt jedem. Wer da reinbeißt und dann behauptet, das schmecke ihm nicht, der sollte schleunigst einen Termin beim Facharzt für Schmeckstörungen buchen.

 

(Nein, ich bekomme kein Geld von den hier empfohlenen Firmen. Aber ich nehm gern welches an, wenn die sich für die Gratiswerbung bedanken wollen.)

 

 

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger#Etymologie

https://de.wikipedia.org/wiki/Grilletta

 

 

[5] DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl., Mannheim 2012

 
 

 

 

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© Marcus J. Ludwig 2022
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