Kulturkampf konkret

Entwurf einer Petition für eine neue öffentlich-rechtliche Gesprächssendung

(Wer Lust hat und sich mit so was auskennt, kann diese Initiative zur Vitalisierung der Demokratie gern irgendwo einreichen, hochladen, rumschicken, aushängen oder einfach direkt an die zuständigen Damen und Herren senden.)


An die Intendanten, Programmdirektoren, Moderatoren, Redakteure und sonstigen Akteure des ÖRR

Deutschland befindet sich im Kulturkampf. Manche nennen es eine „Spaltung der Gesellschaft“, andere reden bereits vom „kalten Bürgerkrieg“. Die Vorstellungen darüber, wer wir sind und wer wir sein wollen, gehen weit auseinander. Wesentlich weiter, als es für den Bestand eines Gemeinwesens zuträglich ist. Schon die grundlegenden minimalkonsenspflichtigen Fragen, ob wir primär eine Nation oder ein Staatsvolk, eher eine „Familie“ oder eine Art „Verein“, eine Schicksalsgemeinschaft oder eine Wertegemeinschaft sind, ob wir durch Kultur, Biologie, Bekenntnis, Verfassung oder Passbesitz zusammengehalten werden, sind im Modus nüchternen, erkenntnis- und verständnisorientierten Austauschs kaum noch ansprechbar. Verdacht, Unterstellung, Diffamierung, Pathologisierung und Dämonisierung überlagern jeden Versuch eines offenen Gesprächs. Gegner werden zu Feinden, Andersdenkende zu Gestörten, die in Wahnwelten gefangen und mit Argumenten nicht mehr erreichbar sind.

Die Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen, hätten es in der Hand, hier befriedend einzuwirken. Befriedung heißt allerdings nicht, die Konflikte zu leugnen, sie zu unterdrücken, zu verschieben oder durch scheinrationale Scheindebatten zu übertünchen. Jeder, der über Grundkenntnisse in Psychoanalyse verfügt, weiß, wozu solche unreflektierten Abwehrvorgänge führen. Die Konflikte bewusst zu machen, wäre hier erste Therapeutenpflicht.

Sie, verehrte Angesprochene, könnten als ÖRR die Funktion eines neutralen Analytikers einnehmen, Sie entscheiden sich aber leider regelmäßig für die Rolle des engagierten Erziehers. Das ist überaus fatal, und es wäre überaus wünschenswert, Sie würden die historische Dimension Ihrer Fehlentscheidung erkennen. Die deutschen Konflikte haben das Potenzial, die deutsche Gesellschaft (präziser gesagt: die deutsche Nation und die deutsche Bürgerschaft) zu zerreißen. Es muss nicht so weit kommen. Reden würde helfen. Echtes, offenes Reden.

Reden wir nicht schon genug? Nein, das tun wir nicht. SIE reden. Und Sie bleiben dabei (meistens) unter sich und Ihresgleichen, zudem reden Sie (meistens) an den Sachen (den sogenannten „Elefanten im Raum“) vorbei. Und wenn Sie mal nicht unter sich bleiben, sondern gezwungenermaßen auch mal mit den andern reden – deren Positionen Sie für undemokratisch, radikal oder sonstwie indiskutabel halten –, dann wird das Reden in der Regel zum Verhör.

Dieses Verhalten vertieft die Kluft zusehends. Und Sie müssen sich entscheiden, ob Sie das wirklich wollen. Ob Sie die oppositionellen Stimmen in Deutschland wirklich für so indiskutabel halten, oder ob Sie sich da vielleicht im Laufe der letzten Jahre in etwas hineingesteigert haben, das eventuell der Revision bedürfte. Prüfen Sie sich, und entscheiden Sie sich. Und zwar bitte bald.


Und nun zu den konkreten Forderungen:

Wir fordern – pardon, da das hier ja eine Art Vorlage für eine Petition sein soll, bitten wir natürlich höflichst und mit Sahnehäubchen obendrauf –, das einseitige und demokratiegefährdende (und überdies unsäglich langweilige) Standardgerede in den deutschen Talkshows durch ein neues Format zu ersetzen.

Es folgt ein Entwurf – ganz sine pecunia natürlich–, den Sie, verehrte Senderchefs, Formatentwickler und Produktionsfirmen, bitte weitestmöglich – insbesondere, was die weiter unten gelisteten Gästevorschläge angeht – umsetzen möchten (und jedesmal, wenn Sie denken, wie abwegig und bekloppt die Vorschläge sind, sagen Sie sich einfach, „okay, es geht immerhin um die Rettung der Demokratie, dafür kann man vielleicht mal ein paar maßvolle Risiken eingehen“):

Die Sendung soll schlicht „Disput“ heißen (lateinisch „disputare“ bedeutet „nach allen Seiten erwägen“) und zweimal wöchentlich stattfinden, idealerweise mittwochs und sonntags von 20:15 bis 23:15 Uhr. Um das Ganze zeitgemäß und „sexy“ zu machen, können Sie den Titel auch noch irgendwie aufpimpen: zdf deep dispute oder Der Deutschland-Disput im Ersten oder sonst was Schnittiges … daran soll’s nicht scheitern.

Die Moderation übernehmen abwechselnd Thilo Jung und Michael Fleischhacker. Beide haben sich – mit sehr unterschiedlichen Methoden – darin bewährt, ihren Gesprächsgästen zu einer Aussagequalität über Trivialniveau und ihrem Publikum somit zu interessanten und irritierenden Erkenntnissen zu verhelfen.

Es reden zwei Gäste miteinander, die entweder krass antagonistische Positionen vertreten (zum Beispiel Björn Höcke und Jan Böhmermann), oder die oberflächlich derselben gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden (zum Beispiel zwei Rechte, zwei Muslime, zwei „Antifaschisten“, zwei Liberale), sodass die feinen oder vielleicht eben doch größeren Unterschiede oder sogar Unvereinbarkeiten deutlich zutage treten.

Es sollen echte Gespräche stattfinden. Deep Talk. Real Talk. Fruchtloses Aufsagen von Statements gilt es zu verhindern. Ein Dialog ist etwas anderes als die Aneinanderreihung alternierender Monologe. Die Disputanten sollen miteinander und gegeneinander reden, aber nicht aneinander vorbei. Längere Ausführung zur Sache sind erwünscht, nicht aber das Abarbeiten von inneren Thesenpapieren („Lassen Sie mich den Punkt noch machen!“) oder das verbreitete (vorsätzliche) Vermischen von Themen, bei denen der Fokus verloren geht. Das Ausredenlassen des Gegners ist wünschenswert, ein lebendiges Gespräch lebt aber auch von spontanem Einhaken und Reagieren. Hier sind Feingefühl, Autorität und Moderationskunst des Gesprächsleiters gefragt.

Für die Überprüfung strittiger Tatsachenbehauptungen sind zwei ideologisch konträre „Faktenchecker“-Teams zuständig. Sie recherchieren umgehend und stellen schnellstmöglich die Ergebnisse ihrer Ermittlungen kurz und bündig vor.

Ob eine strittige Frage zum Faktencheck zugelassen wird, entscheidet ein Gremium aus Sprachphilosophen, Linguisten und Aussagenlogikern. Faktenchecks dürfen sich nur auf Statistiken, empirisch nachweisbare Daten, Zitate und dergleichen beziehen. Meinungen und Einschätzungen irgendwelcher Experten, die den Meinungen eines Talkgastes gegenübergestellt werden und diese qua „höherer Autorität“ entwerten sollen, sind nicht zulässig.
Das Fernseh-Publikum kann dann selbst entscheiden, welchem Faktencheck es höhere Glaubhaftigkeit zumisst.

Am Ende der Sendung wird ausgezählt, wer wie oft Falschbehauptungen geäußert hat und wer wie oft den Gegner einer Falschaussage bezichtigt hat.
Vor allem aber wird in einem Fazit übersichtlich zusammengefasst, in welchen Punkten Einigkeit erzielt wurde, wo anfängliche Differenzen beigelegt und Missverständnisse ausgeräumt werden konnten, und wo Dissens und Gegnerschaft (und meinetwegen auch Hass) bestehen bleiben.

Dann reicht man sich die Hand – muss nicht herzlich sein, höflich reicht –, und die Welt ist wahrscheinlich ein wenig weniger neurotisch.


Und hier nun die Gäste der ersten Sendungen
(Einschaltquoten wie zu „Wetten, dass“-Zeiten sind garantiert):

Björn Höcke vs. Jan Böhmermann
Mathias Brodkorb vs. Stefan Kramer
Markus Krall vs. Robert Habeck
Norbert Bolz vs. Juli Zeh
Broder & Steinhöfel vs. Joko & Klaas
Uwe Tellkamp vs. Herbert Grönemeyer
Julian Reichelt vs. Martin Sonneborn
Ahmad Mansour vs. Antonio Rüdiger
Maximilian Krah vs. Ricarda Lang
Silke Schröder vs. Michel Friedman
Hans-Joachim Maaz vs. Eugen Drewermann
Ralf Schuler vs. Anja Reschke
Thilo Sarrazin vs. Frank-Walter Steinmeier
Gunter Frank vs. Eckart von Hirschhausen
Michael Klonovsky vs. Patrick Bahners
Martin Wagener vs. Herfried Münkler
Michael Esfeld vs. Harald Lesch
Burkhard Müller-Ullrich vs. Sandra Maischberger
Götz Kubitschek vs. Bernd Stegemann
Hamed Abdel-Samad vs. Luisa Neubauer
Michael Meyen vs. Bernhard Pörksen
Harald Martenstein vs. Sahra Bosetti
Hans-Georg Maaßen vs. Friedrich Merz
Martin Lichtmesz vs. Harald Welzer
Paul Brandenburg vs. Dunya Hayali
Ulrich Vosgerau vs. Thomas Haldenwang
Martin Sellner vs. Anetta Kahane
Ulrich Kutschera vs. Sven Lehmann
Chaim Noll vs. Igor Levit
Akif Pirincci vs. Günther Wallraff
David Engels vs. Richard David Precht
Manfred Kleine-Hartlage vs. Svenja Flasspöhler
Michael Andrick vs. Alena Buyx
Birgit Kelle vs. Sascha Lobo
Paul Schreyer vs. Robin Alexander
Werner Patzelt vs. Albrecht von Lucke
Dietrich Murswiek vs. Ulf Buermeyer
Marc Jongen vs. Cécile Schortmann
Philipp Gut vs. Justus von Daniels
Stefan Homburg vs. Dieter Nuhr
Alexander Wendt vs. Pascal Siggelkow
Antje Hermenau vs. Iris Berben
Karlheinz Weißmann vs. Sahra Wagenknecht
Kay Ray vs. Hella von Sinnen
Gudula Walterskirchen vs. Helene Fischer
Erika Steinbach vs. Monika Salzer (Omas gegen Rechts)
Giovanna Winterfeldt vs. Thomas Laschyk (Volksverpetzer)
Fritz Vahrenholt vs. Hans Joachim Schellnhuber
Hans-Werner Sinn vs. Michael Hartmann
Raymond Unger vs. Ferdinand von Schirach
Axel Meyer vs. Mai Thi Nguyen-Kim
Egon Flaig vs. Christopher Clark
Sandra Kostner vs. Maja Göpel
Claus Wolfschlag (Autor von „Linke Räume“) vs. Stephan Trüby (Autor von „Rechte Räume“)
Benedikt Kaiser vs. Armin Pfahl-Traughber
Wolfgang Herles vs. Oliver Welke
Jürgen Elsässer (Compact) vs. Monchi (Feine Sahne Fischfilet)
Peter Hoeres vs. Andreas Zick
Thorsten Hinz vs. Nikolaus Blome
Frank Böckelmann vs. Jakob Augstein
Bassam Tibi vs. Heinz Bude
Milosz Matuschek vs. Florian Schröder
Heinz Theisen vs. Marina Weisband
Imad Karim vs. Ranga Yogeshwar
Kristina Schröder vs. Campino
Gottfried Curio vs. Naika Foroutan
Arnold Vaatz vs. Angela Merkel
Usw. usf.
Bitte sinn-und zweckgemäß ergänzen … lassen Sie einfach Ihre Fantasie spielen …

Es lebe die Fantasie, es lebe die Demokratie, es lebe die Meinungsvielfalt, es lebe der herrschaftsfreie Diskurs, es lebe der zivilisierte Streit, es lebe der kultivierte Disput!


 

© Marcus J. Ludwig 2024
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