Ein manisch-depressives Divertimento über Sprachwandel und Sprachregelung, Sprachverwahrlosung und Sprachverunstaltung. Mit dabei: SPD-Hauptkommissar Sebastian Fiedler, Nicole „der wandelnde Wackelkontakt“ Diekmann und der exemplarische Maurer Pralunski.
Die Gendersprache ist ein naturrechtswidriger Angriffskrieg gegen den freien Menschen. Und die Truppen des Aggressors stehen bereits tief im Usuell-Unbewussten einer kaum noch abwehrbereiten deutschen Sprachgemeinschaft.
Wer ist der Aggressor? Es ist der linke Konstruktivismus, jener illiberale, übergriffige Moraltotalitarismus, der immer und immer wieder, in jeder Epoche aufs Neue, den Neuen Menschen erschaffen will. Und diesmal stehen seine Erfolgschancen womöglich gar nicht so schlecht.
„Bürgerinnen und Bürger“, „Christinnen und Christen“, „Spitzensportlerinnen und Spitzensportler“ – immer mehr Deutsche (und Deutschinnen) reden so, die Dimorphie als sprachlicher Tugendnachweis setzt sich durch, selbst der von aller akademischen Sensibilisierung unversehrte Ostkurvenproll versucht sich schon hier und da – zumindest vor Kameras – im gerechten Sprechen.
In den Empfehlungen und Verordnungen der Sender, Behörden, Universitäten wird diese antidiskriminatorische Redensartlichkeit zuweilen mit gutmütigem Unterton als „Paarform“ bezeichnet. Als ich vor dreißig Jahren auf dem Weg war, der Sprachwissenschaftler zu werden, der ich dann doch nicht wurde, sprach man in Fachkreisen treffender von „Splitting“, und genau darum handelt es sich: um eine Spaltung. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, „Lehrerinnen und Lehrer“, „Regierungskritikerinnen und Regierungskritiker“ sind eben keine Paare, sondern per Sprechakt, entlang von Chromosomensatz und Hormonspiegel entzweite Gruppen.
Die Geschlechtertrennung existiert natürlich in der Realität, die Frage ist nur, ob man sie bei jeder Gelegenheit künstlich betonen muss. Ich persönlich bin gar nicht der Typ, der sich groß Gedanken um den „Zusammenhalt der Gesellschaft“ macht – die Gesellschaft (falls es so was gibt) war immer gespalten, vor allem in solche, die Interesse an Freiheit, Geist, Schönheit, Menschlichkeit haben, und solche, die den Menschen steuern, normieren, kleinhalten, beherrschen wollen, bzw. dergleichen mit sich machen lassen, um ihren kleinen Frieden und ihre Konsumenten-Ruhe nicht zu gefährden –, aber die sprachliche Spaltung ist pseudologisch, kleingeistig, kulturfeindlich, linksextremistisch, kurzum: falsch und fatal.
Es lässt sich beobachten, dass das Gendern mit Stern und Glottisschlag zwar nur vom harten Kern der Ideologen oder von den notorisch Beflissenen in Staatsmedien, Bildungseinrichtungen, Tugendindustrie und Kulturbetrieb praktiziert wird, breite Teile der Bevölkerung wenden aber immer häufiger schon das „Splitting“ an, ältere Herrschaften etwa, die bei Kunst&Krempel von „Experten und Expertinnen“ ihre Familienschätze begutachten lassen, oder übergewichtige Arminia-Fans, die in der Lokalzeit Ostwestfalen über ihre abnehmwilligen „Kollegen und Kolleginnen“ sprechen. Sie tun dies vermutlich in dem Glauben, dass sie damit zumindest kompromissweise das Richtige tun, dass sie ihren guten Willen bezeugen und mit der Zeit gehen, ohne sich total verbiegen zu müssen. Es ist das altbekannt-typische Mitläuferverhalten: Ein bisschen mitmachen, was soll‘s, warum denn nicht? Man will‘s sich mit niemandem verscherzen, Widerstand ist zu anstrengend, was ist schon dabei, wenn man höflicherweise immer „Politikerinnen und Politiker“ sagt, „Journalistinnen und Journalisten“, „Wählerinnen und Wähler“?
Nun, so einiges ist dabei:
Opferinnen und Opfer
Es gibt Unterarten des Deutschen. Man kennt in der Varietätenlinguistik verschiedene Funktiolekte, das sind Sprachstile, vom sozialen Kontext abhängige Mundarten sozusagen, die nach ihren jeweiligen kommunikativen Zwecken unterschieden werden können: Wissenschaftssprache, Behördensprache, Werbesprache, Literatursprache, Alltagssprache, etc. Die Gendersprache fügt den bisher bekannten Varietäten eine neue Kategorie hinzu: die Moralsprache. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie auf der grammatischen Ebene bestimmte Signale ermöglicht, die den Sprecher als Angehörigen einer Wertegemeinschaft ausweisen. Oder zumindest als jemanden, der sich diesen Werten demonstrativ unterwirft.
Das Gendern begnügt sich – anders als die meisten sprachinvasiven Maßnahmen plumper totalitärer Regime – nicht mit der bloßen Neubenennung von Sachen, Personen, Institutionen oder der Neuschaffung von bekenntnishaften Grußformeln und dergleichen. Es setzt in der Tiefe der mentalen Ordnungen an, da, wo Klänge und Zeichen noch zu regelndes Rohmaterial sind, wo das Denken fast noch Lallen und Lautmalerei ist. Da, wo Weltanschauungen, Lebensgefühle vom flüssigen in den festen Aggregatzustand übergehen. Wo Stimmungen zu Gewohnheiten werden, wo die Muster des Normalitätsempfindens sich bilden. Sprachregelung ist immer Gedankenkanalisierung. Bewusstseinsorganisation und Charakterdesign. Herrschaft über das Gepräge.
Jene konzilianten Bürger, die sich leichtfertig der Doppelform bedienen, denken, Sie seien nur höflich, sie sind in Wahrheit aber unterwürfig, und sie lassen, indem sie das Haupt senken und Splitting-Formeln murmeln, eine Ideologie von ihrem Geist und ihrem Weltgefühl Besitz ergreifen, eine Ideologie der identitätspolitischen Sexualisierung.
Wie das? Nun, es ist eben ein Unterschied, ob man höflicherweise ein Publikum, welches aus weiblichen und männlichen Homo Sapiens besteht, mit „Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen“ begrüßt, um ihm dann in normalem Deutsch irgendetwas Interessantes zu erzählen, oder ob man in dem Vortrag, dem Radiointerview, der Bundestagsrede, in welcher Sprechsituation auch immer, zwanghaft und missionarisch von „Demokratinnen und Demokraten“, „Influencerinnen und Influencern“, „Leistungserbringerinnen und Leistungserbringern“ redet, von „Parlamentarierinnen und Parlamentariern“, „Achtklässlerinnen und Achtklässlern“, „Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmern“, „Volontärinnen und Volontären“, „Intendanten und Intendantinnen“, „Berichterstatterinnen und Berichterstattern“, „Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern“, „Gesetzgeberinnen und Gesetzgebern“, „Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern“, „Spekulantinnen und Spekulanten“, und gern auch mal von „Opferinnen und Opfern“ – nein, leider kein Witz, sondern O-Ton Sebastian Fiedler, SPD, am 24.06.22 im Bundestag. [1]
Der Unterschied besteht darin, dass die lieben „Kolleginnen und Kollegen“ in der Anrede einfach die Funktion eines Vokativs haben, das heißt, es spricht ein „Ich“ im Hier und Jetzt zu einem „Ihr“, einem präsenten oder imaginierten, jedenfalls aber konkret personalen und vermutlich (man kann den Leuten ja nicht in die Chromosomen gucken) beidgeschlechtlichen Kollektiv von Adressaten. Der Beziehungsaspekt kommunikativen Handelns gebietet in dieser Situation einen gewissen Grad der ausgesprochenen Kenntnisnahme oberflächlicher Identitätsmerkmale. (Wo andere Merkmale, Titel oder Ämter die Kenntnisnahme oder gar Ehrerbietung erfordern, werden auch diese ausgesprochen: „Liebe Kinder, allergnädigste Magnifizenzen, etc.“ Ist aber letztlich eine Frage von Konvention und Etikette, keine Frage der Grammatik. Man könnte schließlich auch sagen: „Liebes Publikum“ oder „Verehrte Anwesende“ oder „Yo, Leude“ oder „Herrschaften!“ oder „Deutsche!“)
Wer aber außerhalb des Höflichkeits-Vokativs permanent die Splittingform gebraucht, wer irgendwas über Gott und die Welt erzählt und dabei immerzu die Zweigeschlechtlichkeit dieser Welt herausstellt, der will nicht höflich sein, sondern erziehen, missionieren, belehren, penetrieren, Gehirne ficken. Er will in die Köpfe der Gegner eindringen und dort die gewohnten, gewachsenen neuronalen Netze umstrukturieren.
Im Ideologenjargon heißt es, man wolle „Frauen sichtbar machen“. Das macht man, in der Tat. Man macht Frauen sichtbar, und man macht Männer sichtbar, wo zuvor beide weitgehend unsichtbar waren. Warum? Warum etwas sichtbar machen, was in nahezu allen Zusammenhängen irrelevant ist? Weil es den aggressiven Wahnvorstellungen radikaler Feministen entspricht, dass das gemeine Volk weibliche Wesen für minderwertig hält und man daher den Leuten bei jeder Gelegenheit ins Gehirn schreien muss: dass Menschen mit Ovarien und Milchdrüsen genauso gut Panzer fahren können und genauso ewig Kanzlerämter einnehmen können wie Menschen mit Prostata und Halbglatze!
Ich habe übrigens nicht das Geringste dagegen, dass Frauen für Gleichberechtigung kämpfen, das sollen sie gerne und meinetwegen auch aggressiv tun, denn sonst wird ja wahrscheinlich niemals eine Frau Kanzlerin. Ich habe auch Verständnis dafür, dass wohl in jedem Kampf notwendigerweise Gewalt angewandt werden muss. Die wackeren Fighterinnen sollen gern gemeinsam mit Bürgermeistern und 3Sat-Moderatoren unterm Hermannsdenkmal ihre Latzhosen und ihre Highheels verbrennen und sich in spektakulären Krawall-Aktionen an Genderlehrstühlen festkleben. Sie sollen nur aufhören, meine geliebte deutsche Sprache zu verschandeln. [2]
Und die große Mitläufermasse, die nicht kämpft, die auch gar nichts weiß von irgendeinem Kampf, sondern einfach nur mitläuft, mitlabert, mitsplittet, soll einfach mal aufhören, sich so ekelhaft gutwillig und unterwürfig zu gebärden.
Tätigkeit, nicht Männlichkeit
Die Splittingform gewinnt den im ungegenderten Deutsch (also mit generischem Maskulinum) gänzlich abwesenden Charakter einer Objektdeixis, das heißt, der Sprechakt „zeigt“ nun ausdrücklich auf die Beschaffenheit dessen, wovon er handelt (siehe dazu auch meinen Beitrag „Der grammatische Zeigefinger“). Wo zuvor eine eher abstrakte Gattung von Handlungs- oder Funktionsträgern war, ist jetzt die Rede von merkmalstragenden Identitäten, und zwar sexualisierten Identitäten, Gruppen von Menschen, die unterschiedliche primäre und sekundäre Geschlechtsorgane aufweisen. Wo zuvor semantisch neutrale Akteure waren, körperlose Kollektive, sind jetzt konturierte Männer und Frauen. Solch eine konkrete Kennzeichnung war im generischen Maskulinum nie angelegt, nur in den ungebildeten Fantastereien zänkischer Emanzen waren die Bürger, die Kunden, die Wähler (und sogar die Opfer) sämtlich Männer. Und das vermeintliche Gegenargument, Frauen seien doch immer „mitgemeint“, konnte ihren Groll nicht beruhigen.
Das Argument des „Mitgemeintseins“ war allerdings nie ein Argument von Leuten, die etwas von Grammatik verstehen. Denn beim generischen Maskulinum sind keineswegs Männer „gemeint“ und Frauen „mitgemeint“.
Das Maskulinum ist eine Nominalklasse zur Bezeichnung völlig heterogener Lebewesen, Gegenstände, Abstrakta, die männlich, weiblich, geschlechtslos sein können. Wähler, Leser, Steuerzahler, Zuschauer, Einwohner, Menschenfresser, Pillendreher, Schlehenspinner, Aurorafalter, Bodendecker, Hülsenfrüchtler, Schmetterlingsblütler, Spiralbohrer, Platzhalter, Bildschirmschoner, Generalnenner, Vierflächner, Sechssaiter, Geschirrspüler, Kleiderständer, Geigerzähler. Ich wähle absichtlich auch solche Beispiele, gegen die sich von Gendersprachaktivisten stets sofort der Einwand erhebt: „Boah, ist der doof, es geht doch nicht um Sachen und Tiere, sondern um Personen!“
Jaja, schon, aber diese Beispiele zeigen deutlich, dass die Endung -er eben mitnichten etwas Männliches anzeigt, sondern etwas Tätiges. Wäre es anders, müsste man erwarten, dass etwa 50% aller nichtpersonalen Deverbativa auf -erin enden. Tatsache ist aber, dass es kein einziges solches Wort gibt. Wasserkocherin, Volltrefferin, Taschenrechnerin? Gibt’s nicht. Warum nicht? Weil die feminine Endung -erin nur weibliche Lebewesen anzeigt, die maskuline Endung -er dagegen männliche Lebewesen und geschlechtslose „Instanzen von Tätigkeit“.
Da stellt sich natürlich die Frage, warum man solche asexuellen Sachen dann nicht folgerichtig mit dem Genus Neutrum versieht. Tja, das könnte man machen. Das heißt: könnte man eben nicht machen. Denn Sprache wird eben nicht gemacht. Sie entsteht, wächst, wuchert, gedeiht oder verkümmert, wandelt sich in geheimnisvoll-gesetzwidriger Wechselwirkung mit dem Geist derer, die in ihr sprechen.
Sprache wird nicht gemacht. Wer sie machen will, wird scheitern. Dachte ich jedenfalls immer. Mittlerweile bin ich nicht mehr so sicher. Im Zeitalter der totalen Medialisierung scheint dem Massenmenschen jede noch so abartige Widernatürlichkeit ins Normalitätsempfinden implantierbar zu sein.
Plural-Probleme
Ich gebe zu, dass das im Kopf nicht ganz leicht hinzubekommen ist, dieses generische Maskulinum. Der entscheidende Gedankenschritt besteht darin, sich klarzumachen, dass Genus nicht gleich Geschlecht ist, grammatische Genuszugehörigkeit nicht identisch ist mit sexueller Geschlechtszugehörigkeit. Der Mensch ist kein Mann, die Person ist keine Frau, und das Individuum ist kein geschlechtsloses Etwas. Genus bedeutet so viel wie Gattung, Art, Klasse. Man spricht unter Substantiv-Experten von Nominalklassen, und ich denke, das sollte man generell tun. Man sollte die Kategorie Genus abschaffen und stattdessen von Nominalklassen sprechen. Nominalklasse 1, Nominalklasse 2, Nominalklasse 3. [3]
Aber genauer betrachtet liegt das Problem nicht nur beim Genus, sondern auch beim Numerus. Das Gendersprech-Problem ist sogar vornehmlich ein Plural-Problem, es dreht sich um den Plural der generischen Maskulina. Das scheint auch prominenten Kontrahenten wie dem Vorsitzenden des „Vereins Deutsche Sprache“, Prof. Dr. Walter Krämer, und der Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Luise F. Pusch nicht immer ganz klar zu sein, wie sich an den Beispielen zeigt, die sie in einem Cicero-Pro-und-Contra [4] zur Illustration ihrer jeweiligen Thesen anführen:
Der Held könne auch eine Frau sein, meint Krämer. Wozu gibt es dann die Heldin, fragt Pusch. Zu Recht, würde ich sagen. Denn natürlich ist der Held ein Mann. Sigourney Weaver/Ellen Ripley ist nicht der Held der Alien-Filme, sondern die Heldin. Die Helden hingegen können sehr wohl Männer und Frauen sein, man könnte auch von einem generischen Plural sprechen.
„Das Maskulinum bezeichnet Männer (der Angestellte usw.), das Femininum Frauen (die Angestellte usw.)“, schreibt Frau Pusch, und hat in diesem Fall Recht: Frollein Müller-Meier-Schulze ist die Angestellte, nicht der Angestellte, aber dieser Fall ist ja auch nicht strittig.
Der Streit dreht sich eigentlich immer um die Pluralformen. Allerdings nicht um die der substantivisch gebrauchten Adjektive und Partizipien, die zu festen Bezeichnungen „geronnen“ sind (anstellen > angestellt > der/die Angestellte, die Angestellten). Die Angestellten sind geschlechtsneutral. Ebenso die Beauftragten, die Abgeordneten, die Jugendlichen, die Grünen. [5] Hier herrscht nirgends Dissens. Auch Frau Puschs Beispiel scheint eher schlecht gewählt.
Im Kern geht es fast ausschließlich um Deverbativa, also Substantive, die von Tätigkeitswörtern (im Aktiv-Modus) abgeleitet sind und damit zu Personenbezeichnungen werden. Dies geschieht im Deutschen hauptsächlich mittels der Endung -er, bei Fremdwörtern auch mittels -ant, -är, -ent, -et, -eur, -ist, -krat, -loge, -or. (Kurze Lockerungsübung: Finden Sie zu jeder dieser Endungen ein paar schöne Beispielwörter. Ein Riesenspaß für Groß und Klein! Alternative: Gehen Sie auf den Balkon und rauchen Sie eine.)
Weiter im Text: Die Wörter, die durch -er-Suffigierung entstehen, zählen semantisch zu den Nomina agentis. Hauptwörter, die den „Träger eines Geschehens“ bezeichnen. Das, was ein Mensch aktuell und vor allem habituell (also zum Beispiel beruflich) tut, ist offenbar das semantisch Entscheidende an ihm, das hauptsächliche Merkmal, mit dem er sprachlich zu fassen ist. Über den Busfahrer kann man sich offensichtlich am besten verständigen, indem man auf seine charakteristische Tätigkeit referiert. Nicht auf seine Armbanduhr, sein Gewicht, sein Lieblingsgericht oder seinen Testosteronspiegel.
Wenn die Polizei mich als Zeugen einer Schlägerei befragt und wissen will, wer aus dem Bus gestiegen ist, um dem Radkurier als Gegenleistung für dessen Mittelfingergeste was aufs Maul zu hauen, dann kann ich natürlich antworten: der Swatch-Träger. Oder: der 180-Pfünder. Oder: der Pfannkuchenesser. Oder: der Mann. Aber dann könnte es passieren, dass die adrett uniformierte Streifenwagenpolizistin mir mit wachsender Ungehaltenheit begegnet, und mich irgendwann anschreit: „Sind Sie komplett bescheuert?! Können Sie jetzt mal klipp und klar sagen, wer den Typen verprügelt hat, ob das der Busfahrer war oder einer von diesen Fahrgästen, die da stehen?!“
Okay. Was soll diese total realistische Beispielszene veranschaulichen? – Dass es bei Nomina agentis nur um ein semantisches Merkmal geht, nämlich um die Art des Agens. Also um das Verb, aus dem das Nomen abgeleitet ist. Es wäre denkbar, dass jemand, der nur bruchstückhaft Deutsch spricht, auf die Frage der Polizistin antwortete: „Busfahr“, und es wäre immer noch klar, wer gemeint ist. Der Busfahrer ist semantisch gesehen kein Mann, sondern ein Akteur, eine sexusindifferente Rolle, eine bloße Instanz von Tätigkeit.
Aber, könnte man nun einwenden, wenn das so ist, dann kann man ja auf die feminine Genusform komplett verzichten. Dann könnte man auch in dem Fall, dass die handelnde Person in dem obigen Beispiel eine Frau, eine Busfahrerin gewesen wäre, sagen: „Es war der Busfahrer.“
Ja, könnte man machen. Etwa so wie die 1,5 Milliarden Menschen, die Englisch sprechen, das machen. Das heißt: man könnte es eben nicht machen. Denn Sprache wird eben nicht gemacht. Sie entsteht, etc. … Sie wissen schon …
Aber mir scheint, ich bin ein wenig abgeschwiffen, denn ich wollte doch eigentlich vom Numerus erzählen. Also: Im Singular gibt es eigentlich selten Probleme. Wenn das busfahrende Wesen, das da vor mir steht, männlich ist, ist es ein Busfahrer, wenn es sich um eine weibliche Person handelt, ist es eine Busfahrerin.
Wenn ein Busfahrer und eine Busfahrerin vor mir stehen, dann stehen nicht zwei Busfahrer vor mir, sondern ein Busfahrer und eine Busfahrerin.
Wenn fünfhundert Busfahrer und fünfhundert Busfahrerinnen vor mir stehen, dann steht nicht eine Menge von Busfahrern vor mir, sondern eine Menge von Busfahrern und Busfahrerinnen.
Wenn ich, z.B. auf einer Demo, vor so einer Menge konkreter Einzelmenschen stehe, dann begrüße ich die nicht mit „Liebe Busfahrer“, auch nicht mit „Liebe Busfahrerinnen“, und schon gar nicht mit „Liebe Busfahrer*innen“, sondern mit „Liebe Busfahrerinnen und Busfahrer“. Denn was da real vor mir steht, sind ja schließlich reale Busfahrerinnen und Busfahrer. Menschen mit Namen, Biographien, Adressen und Genomen.
Diese Busfahrerinnen und Busfahrer sind etwas völlig anderes als jene „Busfahrerinnen und Busfahrer“, von denen Bundestagsabgeordnete im Rahmen einer Debatte über Arbeitsbedingungen im ÖPNV reden. Dort redet man nicht von konkreten Einzelmenschen, auch nicht von einer konkreten Gruppe von Menschen, sondern von einer „kollektiven, entpersonalisierten, sexusindifferenten Instanz von Tätigkeit“. Und diese Instanz heißt: „die Busfahrer“.
Person und Begriff
In einem dieser widerwärtig klebrigen Genderleitfäden [6], in denen „wir“ „dir“ „ganz einfach“ „erklären“, wie dieses mittlerweile total „selbstverständliche“ Gendern funktioniert, heißt es:
„Wenn der konkrete Personenbezug in einem zusammengesetzten Wort nicht gegeben ist, muss dieses Wort nicht gegendert werden: Maurerkelle, Schneidersitz. Trotzdem kann es sich anbieten, in solchen Fällen eine neutrale Alternative zu verwenden: Bürgersteig > Gehweg.“
Okay, das Problem scheint also – wie oben schon vermutet – am „konkreten Personenbezug“ zu hängen. Vielleicht können „wir“, Marcus, Johannes und Ludwig, „dir“, armseliges Kollektiv namenloser Newspeak-Aktivisten, an diesem Punkt einmal begreiflich machen, wieso dein ganzer Genderschwachsinn kompletter Schwachsinn ist: Weil in so gut wie allen Fällen, wo wir gemäß deiner Willkür gendern sollen, genau das nicht gegeben ist, was deiner Sprachmoral nach über Müssen und Nichtmüssen entscheidet: der Personenbezug.
Der Maurer in „Maurerkelle“ ist deiner Wahrnehmung nach offenbar keine Person, und das ist ausnahmsweise mal richtig. Was aber ist er dann? Was genau ist anders an ihm verglichen mit jenem Maurer, der da draußen vor meinem Fenster auf der Baustelle rumsteht und gerade sein erstes Fläschchen Bier aufmacht, woraufhin er von seinem Kollegen oben auf dem Gerüst angeblafft wird: „Ey, Pralunski, alte Pissbirne, nix hier Pause machen, komma schön hier die Reihe noch feddichmachen, Chefchen kommt gleich!“
„Ich hab noch zehn Minuten Frühstück, du Strebersau, und wenn Chefchen kommt, dann kann Chefchen von mir aus seinen Cherokee noch zehn Minuten ummen Block fahren. Prost.“
Der tüchtige Kollege schüttelt den Kopf und arbeitet fleißig weiter. Und es arbeitet in ihm, und da poppt denn plötzlich eine Denkblase über seiner Mütze auf, in der steht geschrieben: „Maurer Pralunski ist eine Person, der Maurer in Maurerkelle ist ein Begriff. Was ist der Unterschied zwischen Person und Begriff? Ein Begriff ist, mit den Umschreibungen des Dudens gesprochen: die Gesamtheit wesentlicher Merkmale in einer gedanklichen Einheit; Umfang und Inhalt einer Vorstellung; geistiger, abstrakter Gehalt von etwas. Eine Person dagegen ist ein konkreter Mensch als Individuum, ein Charakter in seiner spezifischen Eigenart, Träger eines einheitlichen, bewussten Ichs.“
Wir applaudieren vom Fenster aus hinüber auf die Baustelle, feiern die Erkenntnis mit Stadionfanfaren und Feuerwerksfontänen und rufen dem Erleuchteten begeistert zu: „Alter, merk dir den Text, wir schicken dir morgen die Genderleitfädler der Republik und das gesamte ZDF vorbei, dann kannste denen den Spruch nochmal in Schönschrift aufsagen!“
Der Angesprochene guckt etwas irritiert zu seinem Kollegen hinab: „Pralunski, wat will der Vogel?“
Pralunski hebt die Schultern und macht eine scheibenwischerartige Geste vorm Gesicht. Ich schließe schleunigst das Fenster und beschließe, es einfach mal meinen geschätzten Leserinnen und Lesern zu überlassen, selbst darüber nachzudenken, warum dieses Person-versus-Begriffs-Ding diese ganze leidige Gender-Sache eigentlich in Wohlgefallen auflösen müsste.
Sprachwandel?
Der Mitläufer, der es sich mit niemandem verscherzen will (wieso nur habe ich immer irgendwelche FDP-Politiker vor Augen?), argumentiert gern, Sprache verändere sich nun mal, Sprachwandel habe es immer gegeben, und es lohne nicht, dagegen anzugehen. Dieses Argument zeugt von bedenklichem linguistischen Querwissen. Oder wahrscheinlich einfach von Täuschungs-, also Selbsttäuschungsabsicht.
Das Gendergestammel ist kein Phänomen natürlichen Sprachwandels, sondern ein geplanter Eingriff, eine Sprachregelung von Gesellschaftsingenieuren, die vorsätzlich eine Änderung im Sprechen und Denken der Menschen herbeiführen wollen.
Gendersprache (nicht zu verwechseln mit Genderlekt, da geht’s um die realen geschlechtsbedingten Unterschiede im Sprechverhalten) ist eine Art Funktiolekt. Man könnte auch von einem ideologischen Soziolekt sprechen oder von einem Ideolekt (nicht zu verwechseln mit Idiolekt). Die Hauptfunktion dieser widernatürlichen Varietät besteht offenbar darin, auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen, die Mittel erinnern an das, was sich Social-Justice-Artisten und Kulturzeit-Künstler regelmäßig über ihre Machwerke zurechtphrasieren: Sie wollen immer irgendwelche Wahrnehmungsmuster aufbrechen, verkrustete Strukturen sowieso, Stolpersteine setzen, Gewohnheiten infrage stellen, den Blick der Gesellschaft auf dies und das richten, mit befremdlichen Perspektiven anecken und aufrütteln usf. Und so wie solche Nichtskönnerkunst aussieht, klingt dann auch das Rumpel- und Stotterdeutsch der Genderaktivisten. Wie eine Abschlussarbeit der Petra-Gerster-Akademie für neobrutalistisches Sprachdesign mit dem Titel „Ecce Femina/re:cognition*structurefuck“, oder so ähnlich.
Sprachwandel-Phänomene wie etwa die zweite germanische Lautverschiebung sind Prozesse, die hunderte von Jahren benötigen und sich ohne jede Planung, Absicht, Steuerung vollziehen. Es gibt freilich Sprachmoden, da geht es wesentlich schneller, Ausdrücke, Redensarten verbreiten sich medial, sozial, von Mund zu Ohr innerhalb von Wochen und Monaten wie die Frisuren und die Brillengestelle. Wie geil ist das denn, aber so was von, feier ich voll, Deutschland kann Weltmeister, gönn dir, wanndu wodu, so geht Klapse heute. Auch die Intonation, Prosodie, Sprachmelodien, Behauchungen, der ganze Bereich der Suprasegmentalia scheint saisonalen, manchmal mehrjährigen, aber eben doch nicht dauerhaften Trends zu unterliegen. Dokus aus den 80ern zeigen, wie alle Mädchen so leicht fahrig-angesäuselt wie Nena sprechen, während sie sich die Ponyfransen aus der Stirn pusten; in den 90ern geht die Sprechstimme ca. zwei Oktaven nach oben, alle quäken ihr süßes Girliedeutsch nach dem Vorbild von Heike Makatsch und Konsortinnen. Wie die Mädchen heute sprechen, lässt sich wahrscheinlich erst in zwanzig Jahren sicher sagen, man braucht einen gewissen Kontrastabstand, um das Klangbild ohne Bias hören zu können. Ich glaube aber schon sagen zu können, nur die wenigsten sprechen wie Emilia Fester und Nicole „der wandelnde Wackelkontakt“ Diekmann. [7] Insofern hab ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass dieses alberne Gendertourette nur eine passagere Eliten-Psychose ist und wir in ein paar Jahren retrospektiv eine Menge zu lachen (und andere eine Menge zu schämen) haben werden.
Trampelpfade und Treppen ins Nichts
Der Linguist Rudi Keller – ein Theoretiker, der nicht nur interessant denken, sondern auch gut schreiben kann – erklärt in einem Vortrag aus dem Jahr 2004 (also aus einer Zeit, da die Genderei sich noch auf ein gelegentliches Binnen-I beschränkte) sehr anschaulich, wie man sich die Mechanismen des Sprachwandels vorzustellen hat. [8]
Keller vergleicht Sprachwandelphänomene mit dem Entstehen eines Wegenetzes auf einem Uni-Campus:
„Wenn Sie ein Luftbild hätten von diesem Campus, würden Sie erkennen, dass die Rasenflächen überzogen sind von einem Netz von Trampelpfaden. […] Diejenigen, die an seiner Genese beteiligt waren, haben weder beabsichtig, ein Netz von Trampelpfaden herzustellen, noch dürfte ihnen bewusst sein, dass sie es taten. Trampelpfade sind von Menschen gemacht, aber weder willentlich noch wissentlich. Das Netz der Trampelpfade eignet sich vorzüglich als Modell für das Verständnis einer so genannten natürlichen Sprache und deren Wandel. Natürliche und künstliche Sprachen verhalten sich zueinander wie die Trampelpfade zu den von Architekten geplanten und gepflasterten Wegen. Die Wege der Architekten sind wie Esperanto oder eine Computersprache geplant und gezielt hergestellt.“
Das Besondere an solchen Trampelpfad-Phänomenen ist, „dass die handelnden Akteure die Makroebene nicht im Auge haben und nicht reflektieren. Sie sind ausschließlich daran interessiert, ihre ‚lokalen‘ Handlungsziele zu realisieren. Keiner von uns denkt beim Einkauf an seinen Beitrag zur Inflation, so wenig wie wir bei unserer Alltagskommunikation an unseren Beitrag zum Wandel des Neuhochdeutschen zum Spätneuhochdeutschen denken. Kein Mitglied der 26 Generationen, die zwischen Walther von der Vogelweide und uns liegen, hat jemals gesagt: Lasst uns so reden, dass aus unserem Mittelhochdeutsch allmählich Neuhochdeutsch wird; aber faktisch haben sie es getan.“
Und genau da liegt das Neue und Bedrohliche, von dem Keller vor 20 Jahren noch nichts wissen konnte. Heute nämlich gibt es viele Leute – nicht irgendwelche Leute, sondern Leute mit immensen medialen Machtmitteln –, die sagen: „Lasst uns so reden, dass aus unserem diskriminierenden, verletzenden, ungerechten Männerdeutsch allmählich ein gerechtes Genderdeutsch wird!“
Die Frage ist, wie viele Sprecher dieser Aufforderung faktisch folgen werden. Und die Antwort hängt nicht nur von den „guten Vorsätzen“ der Beteiligten ab, sondern vor allem von unbewussten ökonomischen Maximen:
„Ein Trampelpfad entsteht, weil eine Vielzahl von Menschen von A nach B geht nach der Maxime der Energieersparnis. Diese Maxime erzeugt die Regelmäßigkeit des Verhaltens, die nach einer gewissen Zeit dann Spuren zurücklässt. […] Neben der Maxime der Energieersparnis gibt es eine ganze Reihe anderer Maximen, die wir beim Kommunizieren bewusst oder unbewusst befolgen, und die mit der Zeit immer wieder den Wandel der Sprache erzeugen. Eine wichtige Maxime beim Kommunizieren ist es natürlich, so zu reden, dass man verstanden wird. […] Jede innovative Abweichung riskiert potentiell das Verständnis.“
Wird also die Sprachökonomie das Problem erledigen? Oder wird eine Mehrheit der Sprecher sich um der „guten Sache“ willen an eine Erschwerung des Sprechens gewöhnen? Es wäre wohl das erste Mal in der Sprachgeschichte.
Ist es vorstellbar, dass die Sprecher des Deutschen sich dauerhaft irgendwelche sperrigen Hindernisse in ihre Trampelpfade klotzen lassen? Die Gendersprachartefakte stehen auf der grünen Campuswiese wie sinnfreie Treppenstufen, die nirgendwohin führen. Man geht rauf und wieder runter und hat nichts als einen energieverschwenderischen Umweg gemacht. Einen Umweg in die Höhe allerdings: Man hat kurz auf einem moralischen Podest gestanden. Aber reicht das im ökonomischen Gesamtkalkül für einen Sprachwandel?
Energie ist nicht alles in der Sprache. Nicht mehr. Früher hatten die Leute wohl einfach Besseres zu tun, als ihre Lebensenergie in Bullshit-Themen zu stecken. Erst kam das Fressen, dann die Moral, das heißt, vor der Moral kam noch das Saufen, dann die Kirche und das Schützenfest und so weiter. Und vor dem Fressen kam die Arbeit, also die körperlich anstrengende Arbeit. Heute aber, in einer Zeit, da Realien, Existenzsicherung, physische Daseinsbewältigung und Drohungen aus dem Jenseits immer weniger eine Rolle spielen und Distinktionsgewinne mehr denn je durch Symbolhandlungen und pseudomoralische Schauspielereien erzielt werden, haben die Leute tatsächlich nicht viel Besseres zu tun, als sich quasi entertainmenthalber über aufgeblasenen Bullshit zu streiten. Man unterschätze nicht die Langeweile als Motor des Kulturkampfs. Irgendwie muss man ja auch den Tag rumkriegen.
Ich vermute, 95 Prozent unserer Mumpitz-Debatten würden sich erledigen, wenn die ganzen Geistesgrößen in Hochschulen und Redaktionen irgendeiner schönen Arbeit an der frischen Luft nachgehen würden, die sie Tag für Tag rechtschaffen körperlich ermattet. Da freut man sich dann aufs Abendbrot und auf die Pfingstkirmes und macht sich keine dummen Gedanken darüber, wie man seinen Landsleuten möglichst idiotisch auf die Nerven gehen kann.
Sprachwandel ist ein Ergebnis der Arbeit des gesellschaftlichen Unbewussten. Aber es ist nicht so, dass wir keine Wahl hätten. Wir können uns bewusstmachen, was wir da gerade tun (dazu dient zum Beispiel der vorliegende Text), und uns dann entscheiden, ob wir das wirklich wollen.
„Das Muster, nach dem Sprachwandel sich vollzieht“, so Rudi Keller, „ist im Prinzip immer dasselbe: Die Menschen haben bei all ihren kommunikativen Unternehmungen in erster Linie den Erfolg ihrer Bemühungen im Auge: Sie wollen verstanden werden, freundlich und nett wirken, überzeugen, Aufmerksamkeit erwecken, Gruppenzugehörigkeit oder auch Distanz signalisieren, Energie sparen und vieles andere mehr. Dazu wählen sie aus den sprachlichen Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, diejenigen aus, von denen sie sich den besten Erfolg ihrer kommunikativen Unternehmung versprechen. Kommt es dabei zu gleichförmigen Wahlen, so entstehen als Kumulationseffekte Spuren wie die Trampelpfade auf dem Rasen – Spuren, die man dann aus der Distanz als Sprachwandel bezeichnet.“
Letztlich muss sich jeder einzelne Sprecher fragen, ob er es wirklich als Erfolg betrachten würde, wenn das umständliche, aufdringliche, grässlich-hässliche Gendersprech sich durchsetzen sollte. Wenn er dies nicht tut, dann muss er sich widersetzen. Zum Beispiel, indem er diejenigen laut auslacht, die auf diesen sinnlosen moralischen Treppenstufen herumstehen und sich werweißwie fortschrittlich dünken.
Sprachverwahrlosung und Sprachentstellung
Es ist zweifellos richtig, dass Sprachwandel dem zeitgenössischen Beobachter immer als Sprachverwahrlosung erscheint. Der Widerstand, den der konservative Affekt gegen den Regelbruch zuweilen gebiert, mag unter sprachpflegerischen Gesichtspunkten heldenhaft anmuten, ist aber letztlich donquichottische Energieverschwendung. Die parataktische Verwendung etwa der ehedem rein hypotaktischen Konjunktion weil, lässt sich nicht aufhalten. „Ich muss los, weil gleich machen die Geschäfte zu.“ Derartige Satzkonstruktionen werden schon in Kürze nicht mehr als fehlerhaft empfunden werden. Und irgendwann sind sie dann auch keine Fehler mehr. Man wird dann nicht sagen können, in den alten Regelgrammatiken galt das noch als falsch. Kann man schon sagen, aber es ist dann nur noch von sprachgeschichtlichem Interesse.
Dazu noch einmal Rudi Keller: „Übertretungen sprachlicher Konventionen nennt man ‚Fehler‘. Wenn der Fehler schließlich zum allgemeinen Usus geworden ist, dann hat er aufgehört, ein Fehler zu sein und eine neue Konvention ist entstanden. So lange das Präteritum des Verbs schrauben noch schrob lautete (schrauben, schrob, geschroben – so wie saufen, soff, gesoffen), solange machte der, der schraubte sagte einen Fehler. Heute machen wir diesen ‚Fehler‘ alle, und genau deshalb ist es keiner mehr. (Erhalten geblieben ist uns nur noch die Form verschroben, das Partizip von verschrauben.) Dieses Beispiel macht deutlich, warum aufmerksame Sprachbeobachter immer, überall und zu jeder Zeit den Eindruck gewinnen müssen, dass ihre Sprache verwahrlost. Wir nehmen den Beginn eines Wandelprozesses wahr, der notwendigerweise eine Regelverletzung darstellt, und unsere Wahrnehmung lässt in dem Maße nach, in dem die anfängliche Regelverletzung zum allgemeinen Usus wird.“
Richtig: Sprachwandel beginnt als Sprachverwahrlosung, Sprachverfall. Die Gendersprache ist aber das exakte Gegenteil von Verfall: Sie ist Konstruktion. Sie ist Umformung, Neuschaffung, Gestaltung, Design, plastische Chirurgie am gewachsenen Organismus.
Und so wie die zeitgenössischen „Schönheits“-Chirurgen vorwiegend Monster erschaffen aus Menschen, die sich von der Natur ungerecht behandelt fühlen – ich rede jetzt gar nicht von Geschlechtsumwandlungen, sondern von jenen alltäglich gewordenen Gesichtsumwandlungen, vor denen offenbar niemand außer mir sich noch gruselt –, so entstellen vollständig unfähige, geschmack- und gewissenlose Sprachpfuscher das Erscheinungsbild und die Funktionsfähigkeit des Deutschen. Ihre Gestaltung ist Verunstaltung.
Das Gesicht eines Menschen wandelt sich im Lauf seines Lebens, die Trampelpfade seiner Gewohnheiten, seines Alltags und seines Charakters machen aus einer glatten konturlosen Fläche ein geprägtes Antlitz, eine jahrzehntelange Erzählung von Schicksalen und Kämpfen, Schwächen, Konflikten und Zwängen.
Menschen dagegen, die nicht wachsen wollen, die sich nicht wandeln wollen, sondern sich nach einem wahnhaften Idealbild neu erschaffen wollen, sehen irgendwann aus wie Harald Glööckler und Michael Jackson.
Uwe Tellkamp sprach neulich mit Blick auf das Genderunwesen von Sprachvergewaltigung. Ich teile den Zorn und die Vehemenz, das Ausrastenwollen angesichts der barbarischen Ideologie, aber wenn ich in Ruhe drüber nachdenke, würde ich das Ganze nicht als Vergewaltigung, sondern eher als Verunstaltung bezeichnen. Ich sehe keine Lustmörder am Werk, sondern unfähige Schönheitschirurgen, nein: Gerechtigkeitschirurgen. Und ich sehe die bedauernswert verpfuschte Fratze von Michael Jackson, eines armen Teufels, der ja nicht nur schöner sein wollte, sondern vor allem weißer.
Der linke Hang zum rechten Winkel
Der Versuch, die Sprache „gerecht“ zu machen, ist nicht nur der Versuch, sie moralisch gerecht zu machen, sondern mehr vielleicht noch der – zum Scheitern verurteilte – Versuch, sie „vernunftgerecht“ zu machen. Das Scheitern gründet in der Scheinlogik der Sache: Man postuliert Kongruenz, wo keine sein kann. Sexus und Genus sind nur sehr vage korrelierende Kategorien. Biologie und Grammatik, Chromosomensatz und Nominalklassen sind nicht in Einklang zu bringen. Wer dies dennoch anstrebt, huldigt einer gefährlichen Ordnungs- und System-Ästhetik, derselben Naturbeherrschungs-Ideologie, die zu Fichtenplantagen, Legebatterien, Weizenfeld-Monokulturen und uniformierten Reih-und-Glied-Menschenmassen führt. Er stellt die Idee über die Natur, das Ideal über die Realität. Es ist der ewige linke Hang zum rechten Winkel, zu Reißbrett und Zirkel, zum Konsenszwang und zum Konformismus.
Alle linksextremen Gesellschaftskonstruktionen scheitern. Immer. Einfach an der Realität. Am unlogischen Menschenwesen. Nichts Lebendiges fügt sich den wohlberechneten Wunsch-Regelmäßigkeiten ideologischer Konstrukteure. Bisher zumindest.
Denn die zentrale Frage ist, wie lebendig die Menschen im Zeitalter des globalen Digitalismus noch sind. Alles heutige Gerede über das althergebrachte Gerede vom Sprach- und Sittenverfall – die Gelehrten, vor allem die konservativen Gelehrten aller Zeiten hätten immer schon die Dekadenz beklagt und den Untergang kommen sehen, und so schlimm sei es dann ja doch nie gekommen, der Verfall sei immer nur ein Wandel gewesen – unterschätzt möglicherweise die Wirkung des „totalen Mediums“, das sich zwischen Mensch und Welt geschoben hat, ja, ins Innerste des Menschen hineingeschoben hat und längst dabei ist, die psychische Grundsubstanz des Menschlichen zu transformieren wie kein Medium, keine neue Technik je zuvor. Es ist nicht auszuschließen, dass diesmal – nachdem Homo Sapiens den Buchdruck, die Eisenbahn, das Fernsehen, den Minirock, McDonald’s und Marylin Manson überlebt hat – zur Abwechslung wirklich mal alles kaputtgeht.
Unser Deutsch ist stellenweise unlogisch, oder besser gesagt: unstimmig. So unstimmig wie alles, was evolutionärer Wildwuchs hervorbringt. Man kann sich an allen möglichen Stellen des Lebens-Stammbaums vorstellen, dass das auch besser, funktionaler, effizienter hätte laufen können, wenn man von Anfang an umsichtiger geplant hätte. Hat man aber nun mal nicht. Kein Gott und keine Mutter Natur hat geplant, dass der Mensch aufrecht geht, dass sein Gehirn und damit sein Kopf so groß wird, dass er als Frühgeburt zur Welt kommen muss, dass seine Lungen nicht zur Wasseratmung taugen und seine Arme zum Fliegen unbrauchbar sind. Und niemand hat geplant, dass Genus und Sexus im Deutschen nicht übereinstimmen. Ist so passiert, ist über Jahrhunderte so gewachsen.
Darin liegt der Unterschied zwischen Entwicklung und Konstruktion. Zwischen organischer Entfaltung und Kybernetik. Zwischen Werdenlassen und Machen. Zwischen Zulassen und Erzwingen. Zwischen Natur und Technik. Zwischen Genese und Dirigismus. Zwischen Rechts und Links. Ja, diesen Gegensatz gibt es immer noch und weiterhin. Er zeigt sich bei allen Fragen, die derzeit die Gesellschaften des Westens spalten. Gendern ist links. Linksextrem. Gendern ist Konstruktivismus, Kulturdirigismus, Zwang, Staat, totaler Staat, Politisierung des Privaten, Bewusstseinspolitik. Gewalt im Namen der guten Sache.[9]
Inwiefern Gewalt? Privat kann jeder sprechen, wie er, sie, es es will. Wie die Genderprofessix mit der Gleichstellungsbeauftragten in der Teeküche des Instituts für Critical-Christstollen-Studies an der Berliner Conchita-Wurst-University spricht, ist deren Sache. Ob die taz, die FAZ, die WAZ und der örtliche Pizzeria-Prospekt gendert, ist deren Sache, man muss solche Zeitungen und solche Pizzen ja nicht kaufen, nicht lesen, nicht essen, wenn man das nicht will.
Man muss allerdings Zwangsgebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen. Die Rundfunkanstalten, die den ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice-(ehemals GEZ)-Beitrag erheben, sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und somit Teil der Staatsgewalt. Find ich prinzipiell in Ordnung, allerdings ist der ÖRR zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Und diese Verpflichtung missachtet er täglich, indem er den Ideolekt einer extremistischen Aktivistenszene verbreitet.
Ich bin nicht sonderlich revolutionär veranlagt, gelegentlich etwas rebellisch, eher reformatorisch. Aber ich kann mich mit etwas Phantasie durchaus in Extremisten hineindenken, die einen Umsturz planen, die ein anderes politisches System, einen anderen Staat erzwingen wollen. Ich kann mich dagegen beim besten Willen nicht in diese Genderleute hineindenken. Und ich kann mir kaum etwas Extremistischeres denken, als den Versuch, den Menschen eine künstliche Sprache aufzuzwingen. Vor allem, wenn dieses Ansinnen dann auch noch ideologisch einhergeht mit der Zumutung, biologische Tatsachen leugnen und Genitalverstümmelung feiern zu sollen.
Wessen Leiden zählen wie viel?
Letztlich liegt das Problem des Genderismus – wie der meist ebenso scharfsinnige wie klarsichtige Michael Klonovsky jüngst vortrug – vor allem in seiner Hässlichkeit.[10] Gendersprache ist hässlich. Und wer das nicht so empfindet, der hat vermutlich einfach keinen Geschmack. Oder einen anderen. Oder ihm sind andere Sachen halt wichtiger.
Allerletztlich ist das Ganze also eine Frage subjektiven Empfindens, und wenn man das Anliegen der Antidiskriminierungs- und Emanzipations- und Befreiungsbewegungen ernstnimmt – und das tue ich selbstverständlich –, dann ist die Entscheidung für oder gegen das Gendern eine Frage des Präferenz-Utilitarismus.
Was ist uns wichtiger: Schönheit oder Sichtbarkeit? Vermeidung von sprachlicher Hässlichkeit und Unverständlichkeit oder Vermeidung von Diskriminierung aufgrund von Nichtgenanntheit? Wie groß ist die Gesamtsumme des Leids auf der einen und die Gesamtsumme des verhinderten Leids auf der anderen Seite? Und auch wenn es unmöglich scheint, diese Quantitäten empirisch zu ermitteln, muss man zumindest theoretisch darüber nachdenken. Es wäre immerhin vorstellbar, dass man hunderttausend Probanden vor den Fernseher setzt und sie eine Bundestagsdebatte anschauen lässt, um während des Schauens zu messen (per EKG, EEG, Fragebogen, whatever), welche Beträge an Leid, Unlust, Zorn, Gekränktheit, Frustration durch das subjektive Erlebnis von Sprachverhunzung entstehen, und welche Summen an Befriedigung, Erleichterung, Akzeptanzempfinden, Siegesglück ihnen gegenüberstehen.
Die einen denken: „Oh, welch Glück, endlich werde ich gesehen!“ Die andern denken: „Jesus, Maria und Joseph, ich kotz gleich.“
Was wiegt mehr: Kotze oder Freudentränen?
Es ist theoretisch durchaus eine Frage der Empirie, ob wir einer eher ästhetischen Ethik folgen sollten, oder aber einer … sagen wir: Ästimations-Ethik. Einer Ethik, die den Wert der Schönheit zum Leitkriterium ihrer Entscheidungen macht, oder einer Ethik, die einer wie auch immer verstandenen Wertschätzungs-, Berücksichtigungs-, Sichtbarmachungsidee den höchsten Stellenwert einräumt.
Leuten, die die Gendersprache propagieren, geht es aber letztlich gar nicht um Ethik, nicht um Gerechtigkeit, nicht um das Vermeiden von Diskriminierungen und Mikroaggressionen. Diese Leute verhalten sich ja äußerst aggressiv. Zum Beispiel mir gegenüber. Aber das ist ihnen egal, weil die Bedürfnisse und die Vulnerabilitäten von Leuten wie mir, Leuten, die ein musikalisch-wollüstiges Verhältnis zur Sprache haben, nicht zählen. Wenn ich jemanden Gendersprache sprechen höre, wird mir angst und bange, mir wird übel, ich empfinde körperliche Schmerzen, aber das ist für Leute, die ein rein moralpolitisch-sozialkonstruktivistisches Verhältnis zur Sprache haben, ein Umstand, der problemlos zu vernachlässigen ist.
Ich würde wirklich gern von einem Gendersprachaktivisten mal eine Antwort hören auf die Frage, warum meine Leiden nicht zählen in seiner Abwägung. Bestreitet er, dass diese Leiden existieren? Würde er sagen, dass sie nur vorgetäuscht sind? Sind sie egal, weil ich ein schlechter Mensch bin, dem es ganz recht geschieht, dass er leiden muss?
Ich freu mich auf ernstgemeinte Zuschriften.
Fiedlers Hyperkorrektur
Um irgendwie zum Ende zu kommen, komm ich jetzt nochmal zum Anfang: Das Beispiel von Hauptkommissar Fiedlers „Opferinnen und Opfern“ illustriert sehr schön das in der Sprachwissenschaft als „Hyperkorrektur“ bekannte Phänomen der Übergeneralisierung von Regeln unter dem Druck (realer oder vermeintlicher) sozialer Erwartungen. Es werden Analogieregeln der Formbildung angewandt, mit denen man über das Ziel hinausschießt – besser einmal mehr gendern als einmal zu wenig. Herr Fiedler will auf gar keinen Fall etwas falsch machen, sich nichts vorwerfen lassen müssen, um Himmels willen keinen Ärger irgendwelcher inkorrekt bezeichneten Minderheiten, Randgruppen, Übersehenen der Gesellschaft auf sich ziehen, und wendet daher die Splitting-Regel einfach sicherheitshalber auf alles an, was auf -er endet, auch wenn es sich um ein Neutrum handelt wie das Opfer.
Fiedler ist Symptomträger einer Gesellschaft, die panische Angst hat, Fehler zu machen. Jeder kommunikative Fehltritt, jede Unachtsamkeit kann in dieser Gesellschaft rigider, sittenstrenger Frömmler zum Ausschluss führen. Kein Zweifel, wir leben unter einem Tugendterror-Regime. Das ist die bitterernste Diagnose hinter dem lächerlichen Lapsus eines hyperkorrekten Bundestagsabgeordneten.
Wie sind wir bloß so ängstlich und unfrei geworden?
Wie konnten wir uns freiwillig und ohne Not so zurückentwickeln?
(bei 08:01)
[2] Noch besser fänd ich, unsere hiesigen Sternchenschleudern würden mal in den Iran fahren und dort echte Diskriminierung bekämpfen. – Leute, mal im Ernst: Was denken eigentlich Iranerinnen, die im Kampf gegen ein brutales Frauenunterdrücker-Regime ihr Leben riskieren, wenn sie ihre Sisters an den quasselethischen Stehtischen des Westens von sprachlicher Sichtbarmachung und ähnlichen Nonsensibilitäten labern hören?
[3] Das wäre übrigens kein Eingriff in die Sprache, sondern nur eine Anpassung zum sachgemäßeren sprachwissenschaftlichen Umgang mit der Sprache.
[4] https://www.cicero.de/kultur/gendergerechte-sprache-gendern-argumente-genderstern-sprachwissenschaft
und
[5] Übrigens: Wenn die Genderaktivisten konsequent wären, müssten sie auch die substantivisch gebrauchten Adjektive und Partizipien gendern. Nach dem Muster von der Beamte / die Beamtin könnte man bequem der Angestellte / die Angestelltin, der Beauftragte / die Beauftragtin, der Jugendliche / die Jugendlichin, der Grüne / die Grünin bilden.
Die Beamtin und die Beamtinnen sind mittlerweile fest etablierte Feminina des Deutschen, Beispiele für ungrammatische Formen, die sich usuell durchgesetzt haben. Denn korrekterweise müsste es ja heißen: der Beamtete, die Beamtete, die Beamteten. So wie es ja bei den Verbeamteten auch noch der Fall ist. Menschen, die beamtet sind, heißen Beamtete, so wie Menschen, die angestellt sind, Angestellte heißen.
Ich will aber jetzt nicht die Genderistas auf dumme Gedanken bringen, sondern anhand dieses Beispiels fragen, was der Grund dafür ist, dass sie sich bei den Angestellten und den Grünen und den Rechten mit einer unmarkierten Pluralform zufriedengeben, die man tendenziell – wenn man mal so voreingenommen hören will, wie sie es bei den Nomina agentis tun – auch eher männlich konnotiert empfinden könnte? Aber weil diese Frage dann doch nicht so entscheidend ist, steht sie nur hier in einer Fußnote, die eh keiner liest.
[6] „Richtig gendern auf einen Blick“
https://www.scribbr.de/category/richtig-gendern/
[7] https://www.youtube.com/watch?v=9xhHZydl5Xs
Auch sehr weit oben auf der Unerträglichkeitsskala: Kattie Salié vom ZDF-„Kultur“-Magazin aspekte. Wie man als Zuschauer eine ganze Sendung überstehen kann, ist mir rätselhaft. – By the way: Wissen all diese Frauen eigentlich nicht, wie hässlich sie durch dieses Gehabe wirken? Haben sie keine Freunde, die es ihnen sagen? Ist es ihnen egal? Max Goldt schrieb einst etwas über die erotisierende Wirkung von Rechtschreibfehlern. Was natürlich als Gag gedacht war. Das Gegenteil gibt es aber ganz im Ernst: die abstoßende Wirkung von dümmlich-ungrammatischer Puritanersprache.
Es gibt ja bekanntlich eine Form femininer Dümmlichkeit, die im herkömmlichen Manne Triebkräfte wachruft, welche – in Abhängigkeit von den sonstigen Qualitäten der betreffenden Dame – irgendwo zwischen Beschützerinstinkt und Nisus sexualis rangieren. Eine Frau aber, die Gender-Dummheiten von sich gibt, offenbart eine innere Spinnenhaftigkeit, die allerstärkste Fluchttriebe weckt. Was vermutlich auch so beabsichtigt ist. Denn mit so tellkampoiden Sprachkonservatoren wünschen Kattie und Nicole wahrscheinlich eh keinerlei Kontakt. Ob aber die woken Weibchen wohl auf die Dauer glücklich werden mit diesen tugendgrünen Messdienertypen ihres Milieus, die noch beim Dirty Talk dudengerecht gendern? – Forschungsfragen, die trotz der Pionierarbeiten Ernest Bornemanns und milliardenschwerer DFG-Förderungen immer noch recht stiefmütterlich behandelt werden.
Was mich aber forschungstechnisch noch weit mehr interessieren würde als das Gendern beim Sex ist das Gendern im Suff. Wie gern würde ich mal bei einer ausschweifenden Party der Grünen Jugend hospitieren, um zu sehen, wie die im Laufe des Abends langsam breit werden und lallen und kichern und grölen. Und ob die dann immer noch gendern. Wenn die im besoffenen Kopp immer noch gendern, dann glaube ich an den Untergang des Abendlands.
Bis dahin glaube ich an die Schönheit und an die Gesetze der Sprachökonomie.
Nachtrag dazu:
Noch ein – zugegebenermaßen reichlich unerwarteter, ja, kaum für möglich gehaltener – Grund zur Hoffnung: Man kann offenbar von dem Gendertrip wieder runterkommen!
„Ich verzichte inzwischen auf den Glottisschlag. Das haben viele derjenigen, die ganz aufgeregt auf das über ein Jahr alte Video stoßen und jetzt auch schnell noch mal mitteilen möchten, was sie von mir halten, nicht mitbekommen. […] Warum ich den Glottisschlag nicht mehr benutze? Mir war es irgendwann zu undankbar, viel Arbeit zu investieren, um komplexe Sachverhalte selber zu verstehen und anschließend so zu erklären, dass andere das auch tun, und dann in der anschließenden Debatte zu 80 Prozent Kommentare übers Gendern zu lesen. Ich möchte über Inhalte diskutieren.“
nicolediekmann.com/zum-gendern
Genderistas aller Medien, Couleurs und Sonderzeichen: Wenn Frau Diekmann das kann, dann könnt ihr das auch!
[8] https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/uploads/media/Sprachwandel.pdf
[9] Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Beitrag des Linguisten Ralf Vogel, in dem er argumentiert, Gendern sei nicht links, weil es gegen das „Rosa-Prinzip“ verstoße: „Frei nach Rosa Luxemberg könnte man daher ein Prinzip des sprachlichen Pluralismus formulieren: Freiheit ist immer die Freiheit des Anderssprechenden. Nennen wir es das linguistische Rosa-Prinzip. […] Ist das Rosa-Prinzip ein linkes Prinzip? Ich würde denken, ja – eines von vielen natürlich, aber wer sich nicht daran hält, kann eigentlich nicht für sich beanspruchen, links zu sein.“
www.nachdenkseiten.de/?p=87304
An den Überlegungen des sehr lesenswerten Textes ist vieles kommentierungswürdig, ich will es hier bei den folgenden drei Punkten belassen:
1. Es ist rührend (und überaus typisch), wie hier ein links Sozialisierter versucht, sein Linkssein, seine Jugendreligion, gegen alle Offensichtlichkeit des Gegenwärtigen und Faktischen hinüberzuretten in die zweite Lebenshälfte. Nietzsche hat dazu in MA § 610 das Nötige gesagt.
Preisfrage: Was wäre der ungereimte, starke Gedanke, den diese alten Linken heute zu denken hätten?
2. Das „Rosa-Prinzip“ mag für die alte Linke von Bedeutung sein, wir haben es aber seit geraumer Zeit mit einer Neuen und Neuesten Linken zu tun, die in erster Linie eine Ideologen- und Eliten-Linke ist. Mit Gleichheit und Geschwisterlichkeit haben diese Leute rein gar nichts am Hut. Diese Linke verfolgt ein monströses (Pseudo-)Emanzipations-Projekt, sie will alle alten Ordnungen, alle Gewissheiten, alle existenziellen Geborgenheiten zerschlagen und den Menschen samt seiner Welt neu konstruieren. Diesen Leuten geht es nicht um Arbeiterinteressen, gerechte Löhne, Basisdemokratie, soziale Sicherungssysteme, gute Arbeitsbedingungen, Kampf gegen Ausbeutung, Solidarität mit den Unterdrückten. Es geht um Emanzipation von allen Vorgaben, um die endgültige Korrektur des göttlichen Pfuschwerks, es ist ein Kampf gegen alles, was im Verdacht steht, dem Menschen seinen Anspruch auf totale Verwirklichung seiner Ideale im Diesseits zu verweigern. Und sei es die Natur selbst, die Biologie mit ihren unerträglichen Gesetzmäßigkeiten, die Welt, die ihm sein Erdenglück verweigert, einfach indem sie auf irgendeine Weise nicht Ja sagt zu ihm. Die Neuen Linken hassen alle Biologie, alle Lehre vom realen Leben ist rechter Biologismus, sie hassen die Natur, alles Organische und Gewordene ist ihnen Gefängnis, sie hassen die Evolution, sie hassen Darwin, sie hassen das ganze verfluchte anti-utopische Diesseits. (Vgl. Wolfgang Brezinka: Die Pädagogik der Neuen Linken. München, Basel 1981, Seite 107ff.: Die Machbarkeit der Persönlichkeit u. Die Fähigkeit zu unbeschränkter Selbstbestimmung.) Und sie hassen demzufolge solche (echt emanzipatorischen) Linken wie etwa Peter Singer, die ihnen was von Darwin und von den ethischen Zumutungen der Realität und ihren tragischen Unausweichlichkeiten erzählen wollen, sie wollen sie zu Rechten stempeln, mit denen man nicht mehr reden muss und die man vom Diskurs ausschließen muss.
Ja, leider leider: Gendern ist links, neulinks, linkselitär, linksextremistisch.
Zur Frage, was Linkssein heute bedeuten könnte, empfehle ich nachdrücklichst:
https://www.reclam.de/detail/978-3-15-019555-0/Singer__Peter/Linke__hoert_die_Signale_
3. Nur eine Kleinigkeit, aber eine wichtige Kleinigkeit:
„Wenn es wirklich so wäre, dass wir uns bei der Verwendung generischer Maskulina ständig missverstehen, dann wäre uns das längst aufgefallen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte aus der Beobachtung der tatsächlich stattfindenden Kommunikation, dass dem so wäre“, schreibt Vogel.
Die Grundannahme ist m. E. falsch, dass Sprache – genauer gesagt: Sprechen – in der Regel dem Verstehen diene. Es dient der sozialen Selbstvergewisserung und Gruppenkohäsion. Sprechen ist ein Ersatz für das unter progressiven Primaten nicht mehr ganz so populäre Lausen. Social Grooming dient nicht dem Verstehen im Sinne des fehlerfreien Informationsaustausches, sondern dem Verständnis der Weltsicht, des Weltgefühls des Kommunikationspartners. Siehst du die Welt so wie ich? Leben wir in derselben Welt? Wenn ich gendere und du nicht, dann leben wir offensichtlich nicht in derselben Welt. „Ich bin etwas ganz anderes als du. Wir sind etwas ganz anderes als ihr. Und deshalb könnt ihr uns niemals verstehen.“ Das ist das Credo der Identitätspolitik.
[10] https://www.klonovsky.de/2022/10/gendern-ist-vor-allem-haesslich/
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© Marcus J. Ludwig 2022
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