Zirka zweiundzwanzig rustikale Randbemerkungen zu Simon Kießlings Essay „Das neue Volk“
Da ich die leidige Angewohnheit habe, immer mehrere Bücher gleichzeitig zu lesen, und da ich im Laufe der Jahre gelernt habe, dass man ein Buch nur einmal zum ersten Mal liest und die gedankliche Angeregtheit sich beim zweiten Lesen meist nicht mehr in gleicher Weise einstellen will, und dass man also die spontanen Geistesblitzchen umgehend nutzen muss für den Gärprozess im zerebralen Kreativreaktor, weil sie sonst nämlich futsch sind forever, folgt jetzt hier, bevor es mit Teil 4 des Nationalmasochismus-Textes weitergeht, noch ein außerplanmäßiger Collage-Essay, der aber irgendwie auch zu diesem Themenkomplex gehört und wahrscheinlich demnächst mal zusammen mit ersterem in einem Buch zu diesen ganzen unerfreulichen deutschen Dingen aufgehen wird. – Entwarnung vorab: Man muss nicht unbedingt erst das Büchlein von Kießling[1] durcharbeiten, um mit meinen Randbemerkungen was anfangen zu können (schaden kann’s natürlich nicht); meine Erwägungen haben ja meist – soweit ich als Erzeuger derselben das beurteilen kann – die Eigenart, sich relativ schnell von ihrem Ausgangspunkt zu entfernen, was man tadelnd als Abschweifigkeit oder wohlwollend als philosophische Schlenderlust bezeichnen könnte. Wer sich nicht zum Wohlwollen durchringen kann, sollte vielleicht spätestens jetzt das Weite suchen.
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DIE DEUTSCHEN UND DIE DAHERGELAUFENEN – Wie sollen Menschen, die ein emotional komplexes Verhältnis zu ihrem Heimatland haben, der Zukunft entgegensehen? Welche strategischen Möglichkeiten bieten sich jenen Deutschen, denen „das Deutsche“ wichtig ist, einfach weil sie in ihrem Deutschsein irgendwie mehr sehen als eine Staatsangehörigkeit, mehr als die bloße Mitgliedschaft in einer verwalteten Allgemeinheit? Was müsste man konsequenterweise tun, wenn man das Deutschsein eher als eine Frage der soziobiologischen Identität, weniger als Frage des Passes begreift (mal abgesehen davon, dass man sich gewöhnen müsste, darob zu den extremen Rechten gerechnet zu werden)? Wie soll das alles werden und enden, wenn die Zerfremdung des Landes voranschreitet, unübersehbar für jeden, der Augen und rudimentäre Kenntnisse in Bevölkerungsgeographie hat? Wenn die Ethnolyse, die Auflösung des Ethnos, das heißt: des Volkes als Abstammungsgemeinschaft, in jedem Klassenzimmer mit einem kurzen Rundblick zu diagnostizieren ist, von der schweigenden Mehrheit aber aus Angst vor Repressionen verleugnet oder aus medialer Gehirngewaschenheit gar begrüßt wird? Was also tun, wenn die „Ausdünnung des Deutschtums“ rasant voranschreitet, von den politisch und bewusstseinsindustriell tonangebenden Mächten forciert wird, und man das schlichtweg nicht möchte? Nicht, weil man den ganzen Tag „Deutschland, Deutschland, über alles!“ singt, nicht weil man Menschenrechte und Asylverpflichtungen negiert, sondern aus denselben Gründen, aus denen man Dinge und Menschen, die man liebt – selbst wenn man sie mit Beimischungen von Hass, Wut, Trauer, Scham und Abscheu liebt –, nicht einfach achtlos irgendwelchen Dahergelaufenen überlässt. Auch dann nicht, wenn es nette Dahergelaufene sind.
Eigentlich bedarf die „Verteidigung des Eigenen“ keiner rechtfertigenden Erörterungen. Wenn ethnischer Selbsterhalt begründungspflichtig wird, muss die Degeneration des Instinkts – oder des Charakters als Instinktersatz (E. Fromm) – schon weit vorangeschritten sein. Wenn man jemandem wortreich auseinandersetzen muss, warum er es seltsam finden sollte, dass seine Tochter oder sein Sohn in der Klasse einer staatlichen deutschen Schule, in einer Stadt, die seit Jahrhunderten deutsch ist, weil sie eben in Deutschland liegt, von Deutschen gebaut, bewohnt und gestaltet wurde über dreißig und mehr Generationen und deshalb wesenhaft deutsch ist – wenn man also jemandem erst groß erklären muss, warum er es seltsam finden könnte, dass sein deutsches Kind das einzige deutsche Kind unter lauter Afghanen, Tunesiern, Türken, Nigerianern, Syrern und Libanesen ist, dann ist es Zeit, sich sorgenvolle, am besten gleich auch planvolle Gedanken zu machen. Die Rechten machen sich Gedanken, und deshalb lese ich mit Interesse das, was rechts so gedacht und geschrieben wird. Linke machen sich auch Gedanken, aber eher über andere Sachen[2], und es verfestigt sich allmählich die unschöne Erkenntnis in mir, dass dies nachrangige Sachen sind, die keine Rolle mehr spielen werden, wenn die Kultur nicht mehr existiert, worin solche Sachen noch bedacht werden können.
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DIE RECHTEN UND DAS KONSERVIEREN – Bei den Rechten werden – so wie ich das mitverfolge und nun in Simon Kießlings Buch zu lesen bekomme – drei Strategien diskutiert:
Revolution – also jetzt nicht mit Mistgabeln und Reichstagssturm, sondern in Form einer „bürgerlichen Gegenrevolution“ der Leistungsträger, Rückbesinnung auf das große heroische Zeitalter des Bürgertums, (Re-)Aktivierung der konservativ-liberalen Potenziale.
Reconquista – also die Rückeroberung Westeuropas, also jetzt nicht mit Waffengewalt und Schlachtengetümmel nach dem mittelalterlichen Vorbild der Wiedergewinnung muslimischer Territorien auf der iberischen Halbinsel, sondern durch geordnete Remigration der nicht integrierbaren Bevölkerungsteile, Rückabwicklung der Masseneinwanderung, Wiederherstellung relativer ethnischer Homogenität.
Sammlung – also die temporäre Sezession und Konzentration aller Ressourcen in einer Kernregion, einer abendländischen Enklave, in der die autochthone Kultur bewahrt bleibt und sich nach den unausbleiblichen Wirren der kommenden Endzeit neu entfalten kann.
Kießling meint nun, diese drei Ansätze seien realitätsfremd, illusionär, zum Scheitern verurteilt, da sie – mal abgesehen von Detailproblemen, etwa dem, dass es seit 68 gar kein ernstzunehmendes Bürgertum mehr gibt – der Logik der Geschichte widersprächen. Die Geschichte strömt seit 1789 nach links, die abendländische Hochkultur geht unter, so wie Oswald Spengler es bereits gesehen und weiter vorausgesehen hat, sie stirbt ab, wird Zivilisation, ist es längst, und wird sich, da das Volk als Träger der Kultur vollständig degeneriert, unproduktiv und ersichtlich lebensunwillig sei, nicht mehr rekultivieren lassen. Nachzudenken sei daher über ein neues Volk, das sich im Laufe mehrerer Generationen aus den überlebenswilligen Restbeständen des abendländischen Menschentums und den aufbauwilligen Teilen der vitalen Migrantenschaft bilden könnte. Was daraus werden könnte, ist nicht absehbar, nicht präzise planbar, aber womöglich vielversprechender als alle energieverschwenderischen Versuche, eine alte Kultur, deren Zeit abgelaufen ist, zu konservieren.
Was ist davon zu halten? – Zweifellos richtig ist die diagnostische Grundthese, dass das Konservieren des Bestehenden nicht reicht. Die Rechten – ich würde etwas weitergefasst sagen: die „alternativen Realisten“ – brauchen eine positive, attraktive, visionäre Idee für die Zukunft.
Generell: Die Forderung nach Ideen für die Zukunft widerspricht nicht dem Verlangen nach dem Konservieren des Alten. Man könnte einen gegenwärtigen Zustand – wäre er denn erhaltenswert – konservieren und zum Bestehenden das gute Neue hinzufügen, also etwa technische Gerätschaften, die das Leben erleichtern und bereichern. Das Neue muss nicht zwangsläufig das Alte ersetzen. Es kann als weitere Möglichkeit hinzukommen zum Bewährten. Das rechte Kultur- und Geschichtsideal ist alternativisch und additiv.[3] Linke wollen dagegen austauschen und ersetzen, sie wollen den ganzen alten Kram weghaben und das Neue, von dem sie wissen, es werde besser sein als das Alte, per Zwang und Verordnung durchsetzen. Das linke Geschichtshandeln ist disruptiv und substitutiv.
Mit Zettel und Bleistift gesprochen: Das rechte Ideal ist die lange, weitverzweigte Linie, das linke Ideal ist der harte Schlussstrich (und danach der ewige Endzustand: lauwarm geregeltes Menschenglück, die gleiche graugrüne Langeweile für alle).
Linke Raumplaner freuen sich, wenn jahrhundertealte Städte per Bombenteppich ausradiert werden, damit sie endlich ihre „neue Stadt“ an die Stelle des faschistoiden Idylls, des Fachwerk- und Gassengewirrs setzen können. Die neue Stadt mit neuen Lebensformen für den neuen Menschen.
Rechte finden es besser, wenn die alte Stadt unbombardiert da stehen bleibt, und die neue einfach daneben gebaut wird (am besten außer Sichtweite, sofern genug Platz vorhanden ist). Und dann halt mal gucken, wo die Leute hinziehen und was die Touristen lieber besichtigen.
Rechts ist die Mehrgleisigkeit und das Abwarten der Empirie: erst Evolution, dann – wenn nötig – Entscheidung.
Links ist die apriorische Alternativlosigkeit und der theoriegestützte Glaube an den einen, richtig errechneten Weg.
Rechts ist die organische Entwicklung. Die Dinge wachsen lassen, den Ordnungen und Prinzipien Folge leisten, das Tragische riskieren. Das Leben.
Links ist der Plan. Die Dinge gestalten, Gesetze schaffen, todsichere Prozesse und Strukturen installieren. Das System.
Wie auch immer – der Konservativismus hat ein grundsätzliches Begriffsproblem, das sich nicht mit wohlklingenden Sentenzen aus der Welt schaffen lässt. „Leben aus dem, was immer gilt“, „Dinge, Werke, Werte schaffen, die es zu bewahren lohnt“ – schön und gut, aber doch etwas unspezifisch. Motivationssprüche für Mönche und Museumsdirektoren.
Nein, das Konservieren ist gar nicht der Kern jener Haltung, die sich „rechts“ oder „konservativ“ nennt. Wer konsequent konservativ sein wollte, müsste sich per definitionem nur um Vergangenes kümmern. Wie soll man konservierend in die Zukunft gehen? Ich glaube, die Konservativen nennen sich so, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Das Konservativsein ist eine lobenswerte Grundeinstellung, wenn es um den Umgang mit der Vergangenheit geht. Der Mensch neigt ja dazu, alles, was gestern war, für gestrig zu halten, das, was vorgestern und vor drei, vier, fünf, zehn Jahren war, für abgelebt und überwunden und vergessenswürdig zu halten, vergisst dabei aber leicht, dass irgendwann einmal der Zeitpunkt kommt, da die Dinge vierzig oder mehr Jahre her sein werden und dann auf einmal wieder anfangen interessant zu werden, schön, wichtig, bedenkenswert, erhaltenswert, revitalisierungswürdig. Ein Auto von heute mag heute gut aussehen, in fünf Jahren wird es passabel aussehen, in zehn Jahren gerade noch tragbar und in fünfzehn oder zwanzig Jahren wie der letzte Haufen Schrott. In dreißig Jahren wird niemand mehr verstehen, dass Leute so was mal freiwillig gekauft und gefahren haben, niemand wird verstehen, dass irgendwer auf die Idee verfallen konnte, so was zu designen und auf den Markt zu bringen. Niemand? Oh doch, der Konservative wird wissen, dass man vielleicht noch mal zehn, zwanzig Jahre abwarten sollte, dass man noch nicht alle Exemplare verschrotten sollte, dass die Geschichte hinlänglich bewiesen habe, wie das Verlachte und Verworfene nach dem Vergessen wieder neu zu Ehren gekommen sei. Und recht hat er, der Konservative. Ich sag nur: Opel Rekord, BMW E9, VW Derby, Lancia Beta, Renault R6 („Zylonenbomber“), Volvo 240 („Familienpanzer“), Porsche 928 („Pornoporsche“), Fiat 127, Alfasud, Ford Taunus, Manta A. Wohl dem, der vor vierzig, fünfzig Jahren konservativ war und heute mit einer dieser Karren zum Bockbieranstich oder zum Staatsbegräbnis vorfahren kann. Der ist nämlich die coolste Sau in da house.
Aber – wer Autos konserviert, weiß noch nicht, wie das Auto von morgen beschaffen sein muss, damit es in fünfzig Jahren cool aussieht. Und davon abgesehen ist Coolness keine politische Tugend.
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SEMANTISCHE VORLÄUFIGKEITEN UND WIEDERHOLUNGEN – Das konservative Element ist also nur ein Zug in jenem Charaktergebilde, das man in Ermangelung eines besseren Wortes vorläufig „rechts“ nennen muss. Außer durch seinen Konservativismus ist es gekennzeichnet durch:
Realismus – gegenüber linkem Utopismus und Fiktionismus
Rationalismus – gegenüber linker Religiosität und linkem Idealismus
Fatalismus und Evolutionismus – gegenüber linkem Machbarkeitsglauben und Konstruktivismus
Pluralismus und Alternativismus – gegenüber linker Linearität und Alternativlosigkeit
Holismus – gegenüber linkem Reduktionismus
Liberalismus – gegenüber linkem Dirigismus (es ist ein fataler Grundirrtum, zu glauben, es gäbe einen linken Liberalismus … wie „liberal“ die „Linksliberalen“ sind, sieht man etwa an ihrer Toleranz gegenüber den „Rechtsliberalen“ …)
Individualismus – gegenüber linkem Sozialismus (Sozialismus verstanden als jene Haltung, die möglichst alle Lebensbereiche – Erziehung, Ernährung, Gesundheit, Wohnen, Mobilität, Information, Bildung, Produktion, Markt, Forschung, etc. – sozialisieren will, also aus der Zuständigkeit des freien Einzelnen in die Hände der Gesellschaft, am besten des Staates legen will.)
(… und dann noch ein paar Ismen, um die ich mich später kümmere.)
Da nun aber die Mehrheit der Menschen (vielleicht sogar die Mehrheit der Rechten) unter „rechts“ etwas völlig anderes versteht, nämlich Schweinshaxe und Schrotflinte, blonde Zöpfe und Tarnhosen, Trump-Fimmel und Germanophilie, empfiehlt es sich, schleunigst über neue Begrifflichkeiten nachzudenken.
Was übrigens schade ist, denn rein sprachlich ist die Sache ja sonnenklar: „rechts“, das heißt „auf der rechten Seite“, also auf der richtigen Seite; „recht“ bedeutet „geeignet“, „passend“, „stimmig“, „so, wie es sein soll“. Und was heißt „links“? Das heißt „auf der linken Seite“, also auf der falschen Seite; „link“ bedeutet „verkehrt“, „anrüchig“, „fragwürdig“, „nicht vertrauenswürdig“, „linkisch“.
Wie es gelingen konnte, diese semantische Eindeutigkeit assoziativ dermaßen vollständig ins Gegenteil zu verkehren, ist ein Rätsel, das ich gern mal von kundigen (politisch neutralen) Sprachwissenschaftlern gelöst sähe.
By the way: Traue keinem Konservativen, der „Konservatismus“ sagt. Da ich mit meinen grammatischen Sophistereien offenbar immer noch nicht zu der betreffenden Banausenschaft durchgedrungen bin, wiederhole ich nochmal, was ich vor etwa drei Jahren bereits dartat:
„Alle sagen immer ‚Konservatismus‘. Kauft man sich irgendwo einen Kaffee und konversiert während des Mahlens und Aufschäumens kurz ein wenig mit dem Barista über Armin Mohler und Oswald Spengler, kann man sicher sein, dreimal pro Satz dieses bedauernswert verkrüppelten Wortes anhörig werden zu müssen.
Selbst in der ‚Bibliothek des Konservatismus‘, diesem ultragestrigen neurechten Berliner Thinktank, wo regelmäßig so stockantiquierte neurechte Denker wie Norbert Bolz, Alexander Grau, Werner Patzelt, ja sogar Karlheinz Weißmann und der leibhaftige Thilo Sarrazin ihren neurechten Deubelkram zum Vortrag bringen, selbst also dort, wo man eine gewisse onkel- und beamtenhafte Pedanterie und eine korinthenkackerische Passion für die Feinheiten der linguistischen Morphologie vermuten dürfte, sagt man ‚Konservatismus‘.
Und – man hält es nicht für möglich – sogar Theodor Fontane spricht irgendwo von ‚Konservatismus‘. Es hilft aber alles nichts, es ist und bleibt schlichtweg falsch. Es war zu Fontanes Zeiten nicht richtig und wird auch nie richtig werden.
Es ist doch völlig offensichtlich, dass es nicht ‚Konservatismus‘ heißt, sondern …? Sondern? … Konserva … Konserva … na? na? …tiVISmus! Korrekt: ‚Konservativismus‘.
Und warum heißt es ‚Konservativismus‘?
Zum Beispiel deshalb, weil der Konservative ‚konservativ‘ ist und nicht etwa ‚konservat‘.
Es ist in diesem Fall wirklich sehr einfach, ganz ohne graue grammatische Gesetzmäßigkeiten eine Aufhebung des Missstandes zu erzwingen, einfach durch stramme Appelle an das Sprachgefühl aller Gutwilligen und durch schlagende Analogiebeispiele:
aktiv >> Aktivismus, nicht Aktismus
kollektiv >> Kollektivismus, nicht Kollektismus
positiv >> Positivismus, nicht Positismus
primitiv >> Primitivismus, nicht Primitismus
konservativ >> Konservativismus, nicht Konservatismus.
Ich verstehe, dass das etwas ärgerlich ist für die ‚Bibliothek des Konservatismus‘ und eventuell auch recht kostspielig werden kann, wenn nun das Logo geändert werden muss und dementsprechend auch alle Visitenkarten, alle Hinweisschilder in Berlin und Umland sowie der komplette Fuhrpark und die Privatjetflotte neu beschriftet und foliert werden müssen, aber es nutzt nun mal auch der altmodischste Westbury-Dreiteiler und das klassischste Manufactum-Teeservice nichts, wenn schon bei den sprachlichen Basics derart geschlampt wird. Sorry.“
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ENTDEUTSCHUNG – Und da ich eingangs zwei neue Begriffe einführte: Was derzeit stattfindet ist kein Bevölkerungsaustausch, auch kein nationaler Selbstmord, kein Genozid, sondern
1. eine allmähliche Verdünnung der ethnischen Substanz, eine Liquidierung des Deutschtums, also der abstammungsmäßigen Deutschheit durch mehr oder weniger vorsätzlich in Gang gebrachte Migrationsprozesse. Das Deutsche wird ausgedünnt, aus pessimistischer Perspektive: aufgelöst;
2. eine kulturelle Überfremdung, eine Transformation der Mentalität und des Sozialcharakters, eine Verflachung und „Entprägung“ des Lebensgefühls durch eine kontinuierliche Pseudomultikulturalisierung – „pseudo“, weil die Einwanderer weder eine sonderliche Vielzahl von Kulturen mitbringen (wo wären denn bitte die Migrantenströme aus Island, Israel, Argentinien, Neuseeland, Japan, Tadschikistan, Panama … wieso habe ich in Deutschland noch nie einen kalaharischen Khoi-San, eine Yanomami, einen papuanischen Yali, eine Aleutin gesehen?), noch überhaupt etwas mitbringen, was man im emphatischen Sinne Kultur nennen könnte; de facto findet ja lediglich eine ethnisch-alltagslebensweltliche Orientalisierung und Afrikanisierung statt (wobei nicht zu vergessen ist, dass diesem Prozess schon mehrere Jahrzehnte einer umfassenden Amerikanisierung vorausgegangen sind).
Das erste würde ich „Ethnolyse“ nennen, das trifft Verlauf und Charakter der Sache meines Erachtens eher als „Ethnozid“, „Volkstod“, „kollektiver Selbstmord“ oder gar „Großer Austausch“.
Das zweite ist ein Kulturschwundphänomen, für das man alle Vokabeln des aktiven und passiven Abbaus verwenden könnte: Korrosion, Erosion, Schwächung, Erweichung, Nivellierung, Liquidierung, Depotenzierung, Dekomposition, Regression, Ruinierung, Ramponierung, Zermürbung, Zerrüttung, Verfremdung, noch besser: „Zerfremdung“.[4]
Macht zusammen jedenfalls: Entdeutschung.
Im Kontext von Nietzsches geistesaristokratischen Unterweisungen in Vornehmheit mag Entdeutschung als Tugend gelten, aber heute wird man auf diese Weise ja nicht mehr Arkadier, Engadiner, Genueser, Pole oder Übermensch, sondern Fremder im eigenen Land, und das ist für Leute, die schon mit dem Fremdsein in der Welt ausreichend beschäftigt sind, vielleicht ein bisschen zu viel der Übung.
Fortsetzung folgt …
[1] Simon Kießling: Das neue Volk. (Kaplaken Nr. 83) Verlag Antaios, Schnellroda 2022
Die Büchlein der Kaplaken-Reihe sind eigentlich recht ansprechend. Hardgecovertes Kleinkaliber, gute Handlage, gefällige Farben, moderate Textmenge, lesepsychologisch wohltuend: man schafft so ein Bändchen in einem Rutsch, und hat nachher durchaus das Gefühl, ein Buch gelesen zu haben. Nur die Schrift wirkt ein wenig deplatziert, riecht ein bisschen nach Grabstein und Gemeindebrief. Und der Name erschließt sich mir irgendwie nicht: Kaplaken. Duden sagt: „Kapplaken, das; (Seemannssprache, veraltet), aus dem Niederdeutschen, eigentlich ‚Stoff für eine neue Mütze‘, dem Kapitän zustehende Sondervergütung.“ Auf der Antaios-Seite wird erklärt: „Der Begriff kaplaken stammt aus der Seemannssprache. Er bezeichnet die Zulage, die ein Kapitän nach erfolgreicher Fahrt über die vereinbarte Heuer hinaus erhält. Das kaplaken, das der Verlag Antaios verteilt, ist eine geistige Zulage für Selbstdenker: wegweisende Texte in handlichem Format, 64 bis 96 Seiten, fadengeheftet und günstig im Preis.“ Also, wenn der Kappenlappen in der Seemannssprache zur Sondervergütung wird, und die Sondervergütung dann in der Verlagssprache zur Selbstdenkerzulage, dann ist mir persönlich das rein sinntechnisch gesehen eine Übertragung zu viel. Aber, Laken hin oder her, mein Exemplar ist nicht fadengeheftet. Was echt schade ist, ich bin nämlich Fadenheftungs-Fetischist. Sieferles Finis Germania von 2017 ist noch schön gefädelt, und jetzt nur noch doofe Klebebindung. Why?
[2] … etwa über Ethik. Mir scheint, dass links konsequenter über ethische Probleme nachgedacht wird, und „konsequent“ heißt zwangsläufig „universalistisch“. Konsequent heißt: alle Folgen unseres Handelns für alle moralisch Berücksichtigungswerten bedenkend. Wer „Menschheit“ sagt, der will (entgegen einem bei Rechten beliebten Diktum C. Schmitts) nicht unbedingt betrügen, sondern schlichtweg die Dinge bis zum logischen Ende denken. Und das logische Ende der moralischen Rücksicht ist nicht einmal an den Grenzen unserer Spezies erreicht, sondern erst da, wo die Leidensfähigkeit und die Fähigkeit, Präferenzen zu äußern, endet. Rechts scheint man sich, meiner Wahrnehmung nach, solche Probleme gern vom Leibe zu halten, man erklärt sich für nicht wirklich zuständig für das, was jenseits der Staatsgrenzen und jenseits der Speziesgrenzen verbrochen wird. Wer die „linke“ Hälfte seines Charakters noch nicht abgetötet hat, weiß hingegen, dass wir sehr wohl zuständig sind. Jedenfalls theoretisch und „charakterästhetisch“. Es gibt keine Überdehnung der Moral, es gibt nur die Grenzen unserer Kräfte. Deshalb verehren wir die Heiligen, denn das sind Menschen, die diese Grenzen zu übersteigen vermochten. Gerade Rechte sollten das wissen. Der Ethnopluralismus wäre vielleicht attraktiver für die Massen, wenn er sich als Bekenntnis zur Schwäche zu verstehen gäbe: Wir wissen, dass wir eigentlich als Menschheit, als planetarische Gemeinschaft aller Fühlenden und Leidenden leben sollten, dass wir das Hordendenken, das evolutionär in uns verankert ist, überwinden müssten hin zu einem ethischen und lebenspraktischen Universalismus, aber wir sind noch nicht so weit, es übersteigt unsere Willenskräfte und, wie wir aller Orten sehen, auch die unserer menschlichen Brüder und Schwestern überall auf der Welt. Wir erkennen es als fundamental falsch, als tragisches ethisches Versagen, dass wir uns zurückziehen auf jene soziale Gruppe, die wir gerade eben noch für handhabbar, regelbar, lebbar halten, auf unseren Ethnos, unsere Nation, unseren Kulturraum. Es ist eine Notlösung, aber wir wissen vorerst einfach keinen besseren Weg. Ganz sicher wissen wir nur, dass der derzeitige Globalismus nicht der richtige Weg ist.
Fußnote zu dieser Fußnote: Es muss der Correctness halber gesagt werden, dass Schmitt sich explizit auf die Sphäre des Politischen bezog (was in einer Schrift namens „Der Begriff des Politischen“ wenig verwundert). „Wer Menschheit sagt, will betrügen. […] Menschheit ist kein politischer Begriff.“ (S. 55) Ja, Menschheit ist kein politischer, sondern ein ethischer Begriff, aber ich gestehe gern mit der linken Seite meines Wesens, dass ich nicht gewillt bin, diese beiden Sphären gewaltsam zu trennen. Das Problem ist ja eigentlich auch nur, dass die pseudoethischen Moralisten den Begriff gekapert haben. Und es wird viel davon abhängen, ob es den echten Ethikern gelingen kann, den Begriff aus den Klauen der Moralisten zu befreien.
[3] Man könnte statt alternativisch auch plural, multipel, konjunktivisch, optionalistisch, eventualistisch, potenzialistisch sagen, oder sonst ein Wort, das irgendwie ausdrückt, dass die Zukunft offen ist und nicht durch ideologische Hybris zur menschheitsbeglückenden Endgültigkeit gezwungen werden kann.
[4] „Ethnolyse“ hab ich selbst erfunden, wenn ich richtig sehe. Vgl. Duden: „Lysis, griechisch: (Auf)lösung, in der Biologie: Auflösung von Zellen (z.B. Bakterien, Blutkörperchen) nach Zerstörung ihrer Membran.“ – Man ersetze „Membran“ durch „Grenze“ und „Zellen“ durch … ach komm, kapiert jeder, oder?
„Zerfremdung“ hab ich auch erfunden, aber leider hat’s schon einer vor mir erfunden: Volkmar Weiss (2017): Gegen die Zerfremdung der europäischen Völker (Rezension zu Renaud Camus – Revolte gegen den Großen Austausch). Allerdings hat sich dieser höchst plausible Ausdruck offenbar noch nicht durchgesetzt. Sobald er es tut, wird er hundertpro zum Unwort des Jahrhunderts gekürt.
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