Wähler und Waldrandprimaten

Die Frage, warum Menschen die AfD wählen, ist so alt wie die Menschheit. Naja, fast. Also, eigentlich stellt sich die Frage ja erst seit ein paar Jahren, aber die Antwort, die ist tatsächlich so alt wie die Menschheit. Ich gebe sie im Verlauf dieser kleinen Erörterung.

Die gegenwärtig gängigsten Erklärungsansätze sind eher schlicht und begnügen sich mit der Diagnose moralischer Defektivität: AfD-Wähler, das sind halt Assis und Abgehängte, das sind völkische Ausländerfeinde und Rassisten. Die sind voller Hass und suchen sich Sündenböcke. Mangelhafte historische Bildung wird auch gern angeführt: Die haben halt vergessen oder wollen es nicht wahrhaben, dass es in der Weimarer Republik auch so losging und dann mit zig Millionen Toten und einem zertrümmerten Kontinent endete. Oder die sind halt einfach intellektuell minderbemittelt und erkennen vor lauter Protestwut nicht, dass die AfD seit mittlerweile elf Jahren nur so tut, als wäre sie eine demokratische bürgerliche Partei, sich strategisch verstellt, um irgendwann am Tag X die Masken fallen zu lassen, die Uniformen anzulegen und Deutschland in eine Diktatur zu verwandeln.
Böse, verkommen, ungebildet, dumm – so stellt sich die politmedialkulturellakademische Einheitsfront den Rechtswähler vor.

Richard David Precht, der seine Aufgabe darin sieht, „das Implizite im Expliziten deutlich zu machen“ – was meines Erachtens etwa dasselbe bedeutet wie das Unbewusste bewusst zu machen (was das Ziel aller Tiefenpsychologie und somit auch meines ist) –, weiß mit einer Hypothese zum Aufstieg des Rechtspopulismus zu überraschen, die ich bislang noch nicht gehört hatte. Im Gespräch mit Tilo Jung sagte er jüngst:

„Wenn man den allerallgemeinsten Satz darüber finden möchte […], warum gibt es diesen Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa – die AfD ist ja nun kein Spezialphänomen –, dann liegt das am Bedeutungsverlust Europas. Das ist der allgemeinste Grund. […] Und die Angst vor dem Bedeutungsverlust führt dazu, a) all diejenigen zu suchen, die möglicherweise schuld dran sein können, und b) etwas zu finden, was die eigene Bedeutung wieder stärkt. Und das führt [dazu], in Migration das allerwichtigste und größte Problem unserer Gesellschaft zu sehen, weil dann hat man jemand, der daran schuld sein kann, dass es einen Bedeutungsverlust gibt […] Die Misere drückt sich darin aus, dass das Wohlstandsversprechen, das Deutschland seit der Gründung der Bundesrepublik zusammengehalten hat […] – und das wissen auch ganz viele AfD-Wähler –, dass dieses Wohlstandsversprechen nicht mehr dauerhaft einlösbar ist, dann suchen sie die Schuld bei den Migranten […], das steht in der Grundmotivation dahinter.“ [1] (Hervorhebungen von mir)

Also: Eine narzisstische Kränkung plus sinkender Wohlstand plus Sündenbockreflex soll laut Precht die Grundmotivation sein, rechtspopulistisch zu wählen.

Das ist ziemlich sicher falsch. Nicht unmöglich, aber ultra unwahrscheinlich. Ich kann Prechts Hypothese jetzt nicht mit stahlharten Studienergebnissen falsifizieren, ich kann nur konstatieren, dass ich noch nie irgendetwas gehört habe, was diese Erklärung plausibel erscheinen lassen könnte. Make Europe great again, make Germany great again? Mag sein, dass das schon mal irgendwer auf seine Basecap gedruckt hat, aber als echtes politpsychologisches Motiv der Massen scheint es mir abwegig weit hergeholt.

Wenn wir von der Bedeutung Europas reden, dann wäre wohl eher festzustellen, dass die Leute mittlerweile neu erkennen, vielleicht zum ersten Mal überhaupt erkennen, was Europa eigentlich bedeutet. Indem Europa vor ihren Augen orientalisiert und afrikanisiert wird, leuchtet ihnen geistesblitzartig ein, was sie einmal hatten an ihrem herrlichen Hesperien, dieser Wunderinsel griechisch-römisch-christlich-aufklärerischer Kultur. Und wie sie alle in der Tiefe verwandt sind, diese Gallier, Malteser, Wikinger und Spartaner, dieses Geschichts- und Völkergeflecht zwischen Gibraltar und Nordkap, Riga und Messina, Lemberg und Limerick, trotz aller Familienkriege und blutigen Erbfeindschaften. Bei diesem Erkennen geht es aber nicht um „Bedeutung“ im Sinne von Rang und Einfluss in der Welt, um politische, wirtschaftliche, weltanschauliche Vormachtstellung, sondern um „Bedeutung“ im Sinne von identitärer Sinnfindung, psychohistorischer Selbstverortung und lebensweltlicher Beheimatung.

Und was die Schuld betrifft: Die Deutschen, also die zur Alternative gezwungenen Deutschen, geben mehrheitlich sicher nicht den Migranten die Schuld am Migrationsproblem. Im Gegenteil, sie sagen: „Ist doch klar, dass die alle hierhin kommen wollen, um ein besseres Leben zu suchen, würde ich an deren Stelle auch so machen.“

Die Schuld am Migrationsproblem suchen und finden die Menschen bei genau denen, die tatsächlich schuldig sind, beispielsweise bei Angela Merkel, Katrin Göring-Eckhard, Thomas de Maizière, Heinrich Bedford-Strohm et. al., Leuten also, die Recht und Gesetz ignoriert, gebrochen oder gebeugt haben, die sich in ihren Machtpositionen dafür eingesetzt haben, Recht und Gesetz außer Kraft zu setzen, um ihren persönlichen Moralvorstellungen Geltung zu verschaffen. Den Rechtsstaat wiederherzustellen würde heißen, die Schuld solcher Akteure zu prüfen, juristisch zu untersuchen, inwieweit sie gegen Gesetze verstoßen oder zum Rechtsbruch aufgefordert haben, und sie gegebenenfalls zu verurteilen und ihre Strafe verbüßen zu lassen. Im Falle Angela Merkels liegt die Schuld meines Erachtens ziemlich klar auf der Hand, aber das sollen gefälligst Gerichte entscheiden. Was allerdings erst passieren wird, wenn die AfD regiert und Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien erlangt. Der Wunsch nach Gerechtigkeit ist jedenfalls gewiss ein Motiv für die gegenwärtige Wählerwanderung nach rechts.

Und natürlich wollen die Menschen – ungeachtet der Schuld- und Sühnefrage – auch ganz praktisch, dass alle Migranten, die illegal die deutschen Grenzen überschritten haben, das Land wieder verlassen. Legal verlassen.

Der eigentlich entscheidende, tieferliegende (und zugleich völlig offensichtliche) Grund aber, warum Menschen die AfD wählen, ist der Wunsch nach Sicherheit. Sicherheit jetzt nicht im Sinne staatlicher Gefahrenabwehr, als Steigerung von Polizeipräsenz und Ordnungskräften im öffentlichen Raum. Das ist eine sekundäre Form von Sicherheit, eine Maßnahmen-Sicherheit, die nötig wird, wenn das Grundsätzliche bereits fraglich und fragil geworden ist.

Primär geht es beim Sicherheitsbedürfnis des Bürgers als biologischen Wesens um die Abschätzung von Risiken innerhalb des konkreten Lebensraums, und das heißt für moderne Menschen, deren Leben nicht mehr in erster Linie durch Beutegreifer und Giftschlangen gefährdet ist: Voraussehbarkeit und Voraussagbarkeit der sozialen Umwelt.

Der gefährlichste Störfaktor im Lebensalltag des Homo Sapiens ist der Mitmensch. Deshalb sind wir zum permanenten Sichern unserer sozialen Umwelt verdammt, oder nüchtern verhaltensbiologisch ausgedrückt: programmiert. Oder noch vorsichtiger gesagt: disponiert. Was cum grano salis ungefähr dasselbe bedeutet: Es gibt evolutionär etablierte Verhaltensvorgaben, Reaktionsbereitschaften, Gefühlsautomatismen, die uns angeboren sind. Wir entscheiden nicht über jede unserer Handlungen und Empfindungen willentlich und mit Vorsatz. Was wiederum nicht heißt, dass wir komplett determiniert wären. Ein Programm kann man – wenn man kein Roboter ist, sondern ein Primat mit reflexivem Bewusstsein und relativen Entscheidungsfreiheiten – einhalten oder abändern. Einer Disposition, einer Anlage kann man starr Folge leisten oder sie durch Einsicht und Impulskontrolle zumindest teilweise überwinden. Programm und Disposition bedeuten humanethologisch nicht, dass ein Verhalten unausweichlich ist, sondern naheliegend.

Nichtmenschliche Tiere sind teilweise determiniert, also tatsächlich unausweichlich programmiert. Ganze Verhaltenssequenzen laufen, einmal in Gang gesetzt, ab wie ein Uhrwerk. Das ist durchaus bestürzend für einen Beobachter, der seine romantischen Freiheitsideale gern auch im Tierreich verwirklicht sähe. Eine Gans etwa, die mit dem Schnabel ein Ei zurück ins Nest rollt, führt die Bewegung instinktiv weiter, auch wenn man ihr das Ei währenddessen wegnimmt. Sie merkt es gar nicht, sie rollt die leere Luft ins Nest, sie spult ein Programm ab, sie kann nicht anders. [2]

Menschen können anders. Je freier ein menschliches Individuum wird, je mehr geistige Gewalt es über sich gewinnt, durch Arbeit an sich selbst, durch Selbsterziehung und vor allem durch eine umgebende Kultur, die Reflexivität, Realismus, Kritik und Selbstkorrektur begünstigt, desto eher wird es in der Lage sein, den Automatismen des Naheliegenden situativ zu widerstehen und sie durch freie Entscheidungsakte zu ersetzen. Was nicht unbedingt immer zu besseren Ergebnissen führen wird. Unsere Dispositionen sind da, weil sie sich evolutionär durchgesetzt haben, weil unsere Vorfahren Lebewesen waren, die diese Anlagen in optimaler Form ausgebildet hatten und genetisch weitergeben konnten. Lebewesen, die das nicht konnten, sind nicht unsere Vorfahren. Ihre Linien wurden nicht fortgesetzt, sie starben aus. Das nennt man Selektion.

Unter den Bedingungen natürlicher Selektion reiften unsere Verhaltensprogramme umweltgerecht und nischenadäquat aus, um das Überleben des Einzelnen und der Gruppe zu gewährleisten. Unter den Bedingungen der kulturellen Evolution, also seit der neolithischen Revolution vor etwa zehntausend Jahren, werden viele unserer Programmierungen problematisch. Die Schnelligkeit der Entwicklung macht es unmöglich, dass wir uns genetisch an die Erfordernisse des Lebens in Groß- und Massengesellschaften anpassen. Wir sind mehr denn je gezwungen, im moralischen und verstandesmäßigen Sinne menschlich zu werden, uns zu humanisieren.

Gleichwohl können wir unser genetisches Erbe, und damit unser verhaltensbiologisches Erbe, nicht ignorieren. Die Anlagen zu bestimmten Verhaltensweisen sind da. Sie sind der Rahmen, den unsere Natur uns vorgibt.
Unsere faziale Kommunikation etwa, der Ausdruck unserer Gemütsbewegungen, unser mimisches Sozialverhalten, ist über sämtliche menschliche Ethnien gleichartig. Gesichtsausdrücke werden überall unmittelbar verstanden. Und beantwortet. Wir können kaum anders, als auf bestimmte Signale unseres Gegenübers auf bestimmte Weise zu reagieren. Unser Lachen, unser Weinen, unser Ekelgesicht, unser Augengruß, unser Erstaunen, unser Wutgesicht – all das ist reinste Biologie.

Es gibt natürlich kulturspezifische Überformungen, sittliche Regeln etwa, wie weit man seine Gefühle äußern darf und wie stark man seine Mimik zu beherrschen hat. Es gibt Techniken, Schauspielkunst und Pokerface. Aber es ist noch kein Völkchen entdeckt worden, bei dem man nicht die elementaren Gesichtsgesten des Homo Sapiens beobachtet hätte: Drohstarren, Naserümpfen, Schmollen, Stirnrunzeln, Grinsen, den Blick abwenden, wenn man sich schämt, die Zunge herausstrecken, um jemanden zu verhöhnen, die Züge versteinern lassen, um Distanz zu schaffen und so weiter. Unser sozialmimisches Verhaltensrepertoire ist in seinen Grundformen weitestgehend angeboren.

Was hat all das mit den AfD-Wählern zu tun? Nun, so einiges. Man muss solche Dinge heute leider erläuternd vorwegschicken, da unsere gegenwärtig herrschende Ideologie alles Biologische weitgehend leugnet. Alles, was heute die Mentalität des Zeitalters ausmacht – Multikulturalismus, Sozialkonstruktivismus, Equalitismus, Menschheits-Globalismus, Wachstums- und Machbarkeitswahn, Digitalismus, Gender- und Trans-Ideologie – muss die Realität der biologischen Natur des Menschen negieren. Wer aber den Menschen als Tier ernst nimmt, weiß, dass das alles gefährlich-abergläubischer Quatsch ist, der zum Scheitern verurteilt ist. Und wer den Menschen als Menschen ernst nimmt, möchte den Mitmenschen dieses Scheitern gern ersparen.

Die Wahrheit über die biologische Realität des Menschen – und eine andere als die biologische gibt es nicht für Lebewesen – lautet: Der Mensch wurde Mensch als Waldrandprimat und Umweltbeobachter. Sein Augenmerk lag und liegt auf der Entdeckung von Gefahren und der Minimierung von Risiken in der Offenheit der Savanne, die er im Laufe der Hominisation für sich als Lebensraum erschloss. Vom verhältnismäßig sicheren und gewohnten Wald, später von einzelnen schützenden Baumgruppen aus, wagte der Affenabkömmling, indem er sich aufrichtete und das Umland bis zum Horizont besah, den Weg ins Freie, wo neue, ungeahnte Lebensmöglichkeiten lockten.

Homo Sapiens sichert sich ab, indem er Informationen sucht. Er muss eine realistische Einschätzung des räumlich und zeitlich vor ihm Liegenden zustande bringen. Und das schafft er in der Regel, das heißt in der Gesamtheit als Art. Sonst gäbe es ihn längst nicht mehr. Er sichert seine Umwelt, bevor und während er seine Schritte setzt oder sich niederlässt, um zu essen und zu ruhen. Das tut der moderne Mensch noch immer so wie seine Vorfahren vor hunderttausenden von Jahren. Ein heutiger Homo Sapiens, der sich beispielsweise in der Öffentlichkeit an einen Tisch setzt, im Straßencafé oder in der Mensa, blickt alle paar Sekunden auf von seinem Teller und sieht sich um. Die Frequenz dieses ererbten Sicherungsverhaltens wird je nach konkreter Situation variieren, aber eine Person, die es fertigbrächte, eine halbe Stunde lang den Blick auf ihr Essen zu fixieren, ohne in Unruhe zu geraten, ohne den Drang zu spüren, nachzusehen, ob Freund oder Feind sich ihr nähert, müsste man wohl als irgendwie gestört bezeichnen.

Ein entscheidendes Element der verhaltensbiologischen Sicherheitsarchitektur ist nun die Xenophobie. Der Ausdruck ist etwas unglücklich, da er heute mit einer psychiatrisch-abqualifizierenden Konnotation einhergeht, die besagt, dass es sich um eine irgendwie übertriebene Angst handele, der die reale Grundlage fehle. Es ist ähnlich wie beim Ausdruck Homophobie, mit dem jenen Heteros, die Männern ungern beim Küssen zusehen, quasi eine Angsterkrankung attestiert wird. Nein, sie haben so wenig Angst vor küssenden Männern, wie ein hydrophobes Protein oder ein Lotusblatt Angst vor Wasser hat. Sie haben eine Abneigung. Und diese Abneigung muss man ihnen nicht wegtherapieren. Sie tolerieren die Neigung der andern, aber sie müssen sie nicht für eine Bereicherung und natürliche Sehenswürdigkeit halten.

Der Begriff Xenophobie in seiner neutral beschreibenden Verwendungsform umfasst ein Spektrum von Schattierungen der Abneigung gegen Fremdes. In den meisten Fällen müsste man heute vielleicht eher von Fremdenscheu als von Fremdenfurcht sprechen. Xenophobie ist eine überlebenswichtige Eigenschaft des Homo Sapiens. In seinem natürlichen Habitat wird ein Mensch ohne Fremdenscheu mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Erzeuger von Nachkommen sein. Seine genetische Linie wird nicht weitergeführt, weil er bereits tot ist, bevor er die Geschlechtsreife erreicht. Der Mensch ist dem Menschen nicht nur ein Wolf – wie Hobbes meinte –, sondern auch ein Gespenst und Fragezeichen. Ein Quell von Unsicherheit und Irritation, umso bedrohlicher, je fremdartiger und fragwürdiger er daherkommt. Das Einschätzen der Andern, das Abschätzen, Ablehnen, Abweisen, bis hin zur Angst, Aversion, Abkehr, Abwehr, Meidung, Flucht, ist eine naturgegebene Notwendigkeit.

Ohne Fremdenscheu wäre ich als Achtjähriger vielleicht in das Auto gestiegen, das eines Sommertags in unserer Siedlung vor mir hielt, als ich auf dem Bordstein saß und auf den Eiswagen wartete. Hinten ging die Tür auf und ein Mann sagte: „Na, so ganz allein hier? Willste nicht mal einsteigen?“ Ich stieg nicht ein, ich sagte nein, stand auf und rannte weg. Vielleicht waren es nicht nur meine Gene, die mir klarmachten, dass hier gerade mein Leben von Feinden bedroht war, vielleicht hatte meine Mutter mir eingebläut, bloß nicht zu Fremden ins Auto zu steigen, aber meine Mutter hatte mir alles Mögliche verboten, was ich dann trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken tat: auf hohe Bäume klettern, Beeren von Sträuchern essen, Feuer machen, mit Taschenmessern hantieren, aufs Garagendach steigen, um den Fußball runter zu holen und so weiter. Das alles machte mir keine Angst. Aber diese Fremden in dem Auto waren eine echte Bedrohung – diese hormonelle Gefühlsgewissheit durchfuhr mich wie ein Schwarm schreiender Schutzengel und ließ mich wie von selbst auffahren und das Weite suchen. „Wie von selbst“ – das ist es, was der Ausdruck angeborenes Programm besagt.

Wir sind unseren Programmierungen nicht hilflos ausgeliefert. Wir können unsere Fremdenscheu überwinden, wir können unsere prosozialen Anlagen kultivieren, und das tun wir in der modernen, aufgeklärten, bewusstseinserweiterten Zivilisation täglich mit ziemlich beachtlichem Erfolg. Aber es gibt Grenzen der Selbstüberwindung und der Impulskontrolle. Es hängt alles am zukömmlichen Maß. Wenn wir von Fremdheit umgeben sind, wird das Ankämpfen gegen die Xenophobie sehr anstrengend. Zu anstrengend jedenfalls für Menschen, die nicht das zweifelhafte Glück haben, von einer Ideologie, einer moralistischen Zivilreligion derart beseelt zu sein, dass ihre Sicherungssysteme außer Kraft gesetzt werden.
Menschen, die in ihrem alltäglichen Leben noch anderes zu tun haben, als Tugendpunkte zu sammeln und ihre Biologie zu unterdrücken [3], wollen einfach nicht in einem Zustand der Überfremdung leben.

Linke Parteien (einschließlich pseudokonservativer Parteien) leugnen die Realität biologischer Verhaltens- und Gefühlsgrundlagen. Rechte Parteien tun das nicht. Inwieweit sie sich mit Humanethologie auskennen, weiß ich nicht, aber sie haben offenbar zumindest ein Gespür für die Wirklichkeit des Homo Sapiens und seine phylogenetisch sinnvollen Sicherheitsbedürfnisse.

Das ist der Grund, warum Menschen solche Parteien wählen.



 

[1] https://www.youtube.com/watch?v=6nuPVOKfq18 (Ab 26:40)

[2] Das bedeutet allerdings nicht, dass Tiere programmierte Automaten wären, die man wie leb- und gefühllose Sachen behandeln dürfte. Im Gegenteil. Gerade dadurch, dass sie der geistigen Möglichkeiten entbehren, die uns Menschen Distanz zu unseren Leiden, Frustrationen, Schmerzen und Schicksalsschlägen ermöglichen, sind ihre Seelenqualen vermutlich intensiver als unsere. Höhere Tiere sind Seelenwesen*, sie sind mit all ihrem Erleben der Welt zugewandt, ausgesetzt allem Unerklärlichen, ganz und gar dem Diesseits verhaftet. Wer mit Hunden und Katzen zusammenlebt, weiß das. Die menschliche Psyche ermöglicht uns eine Existenz im Diesseits des Animalisch-Seelischen wie im Jenseits des Human-Geistigen. Wir leben – je nach individuellem „Verkopfungsgrad“ – in Trans-, Meta-, Para- und Hyperwelten, die kein Tier je betreten kann. Menschenaffen vielleicht ganz ansatzweise. Ich glaube, diese reine Seelenhaftigkeit des Tieres ist es, die empathische Menschen dazu veranlasst, sich über Tierquälerei manchmal stärker zu empören als über Menschenquälerei. Unser Mitleid richtet sich nicht nach dem Wert eines Wesens, sondern nach seiner Lebensunmittelbarkeit, seiner existenziellen Wehrlosigkeit, seiner Eigentlichkeit. Erwachsene Menschen können sich Distanz verschaffen gegen das Leid, durch alle geistigen Werkzeuge der Uneigentlichkeit: Hoffnung, Abstraktion, Sarkasmus, Ironie, Lüge, Ablenkung, Meditation, Wissen, Religion. Ein Hund, ein Schwein, eine Ratte kann das nicht. Ein leidendes Tier ist mit seinem ganzen Sein mitten im Schmerz. 

* „Seelenwesen“ – klingt nach esoterischem Geraune, ist aber trockene Fundamentalontologie, bezieht sich auf das Schichtenmodell des realen Seins von Konrad Lorenz (im Anschluss an Nicolai Hartmann): das Anorganische (Materie), das Organisch-Lebendige (Pflanzen), das Seelisch-Emotionale (Tiere, i.e.S. Tiere mit Zentralnervensystem, welches ein subjektives Erleben möglich macht), das Kulturell-Geistige (Menschen).

[3] Ich weiß, dass man mir solche Aussagen als „dumpfen Biologismus“ auslegen wird. Ich verspüre immer weniger Lust, mich noch mit den Pseudoargumenten „dumpfer Anti-Biologisten“ und „dumpfer Konstruktivisten“ abzugeben. Die sollen einfach den Text nochmal lesen, und dann nochmal und nochmal, so lange, bis sie kapieren, dass da nirgendwo das steht, was sie da hineinlesen. – Alternativ können sie auch einfach alles von Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt lesen.

 

 

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