Neuere Umfragen besagen, dass eine Mehrheit der Deutschen die Gendersprache ablehnt.(1) Gut. Und was tun sie, um ihrer Ablehnung Ausdruck zu verleihen? Nichts. Wie immer: nichts. Das Maximum ist, dass sie antworten, wenn sie von den Demoskopen gefragt werden. Sie werden aber nur höchst selten gefragt. Dass sie unaufgefordert, von sich aus „Nein!“ und „Stop!“ sagen, ist schwer vorstellbar. Sie werden sich – wie immer – nicht groß wehren gegen den „neuen Menschen“, der von den Sachkundigen und Tugendhaften, den Wortführern und Wegweisern, den Diskursherrschaften und Anstandsdamen gerade mal wieder in ihnen herangezogen, herandesignt, herankonstruiert wird.
Vielleicht bin ich – wie immer – zu pessimistisch, aber ich mache sehr oft in letzter Zeit die Beobachtung, dass die Leute sich bereits einzurichten beginnen in der neuen Sprachnormalität. Zwar lehnen tatsächlich alle, die ich kenne, den gesprochenen Gap ab, und sie versehen ihre Ablehnung mit einem deutlichen „Würg!“-Gesicht, wenn im Radio etwa von „Autofahrer Innen“ die Rede ist. Aber ein Satz wie „Autofahrer und Autofahrerinnen müssen ab heute deutlich mehr für den Liter Benzin ausgeben“ verursacht ihnen schon kein hörbares Stirnrunzeln mehr. Sollte er aber. Die Doppelform mag klanglich das kleinere Übel sein, doch es steckt dieselbe Erziehungsmaßnahme und dieselbe Ideologie darin. Wer sich sprachlich darauf trainieren lässt, immer und überall Männer und Frauen zu sehen, der wird bald in einer anderen Welt leben, in einer durchsexualisierten Welt, in der immerzu mit dem grammatischen Zeigefinger auf den Hoseninhalt gedeutet wird.
Unter der Kriegsflagge der Correctness
In der alten Normalität, in der „Autofahrer deutlich mehr für den Liter Benzin ausgeben“ mussten, spielte das Geschlecht so gut wie nie eine Rolle. So ein Satz hat keineswegs die Frauen „systematisch versteckt“.(2) Wenn doch, dann hat er jedenfalls die Männer ebenso unsichtbar gemacht. Das generische Maskulinum war weitestgehend neutral, und wenn es fallweise doch mal eher die Vorstellung von Männlichkeit aufkommen ließ, dann waren diese Fälle – im Rückblick – vernachlässigbar verglichen mit dem Zwang, der Zumutung, die darin liegt, sich nunmehr alles, was Menschen tun können, sowohl durch Männer als auch durch Frauen getan vorstellen zu müssen.
Es wird unter der Kriegsflagge der Correctness eine Dimension in die Realität eingezogen, die das Leben nicht bereichert, nicht erleichtert, nicht verschönert, nicht gesünder und nicht gerechter macht. Die Sprachgemeinschaft beugt sich dem Gerechtigkeitswahn einer kleinen Schar von sexbesessenen, ich meine: genderbesessenen Weltverbesserern. Vor allem Weltverbessererinnen.
Es bleibt auch in diesem Fall ein großes, großes Rätsel der Massenpsychologie, wie es immer wieder möglich ist, dass sich die Mehrheit der „normalen“ Menschen von einer winzigen Minderheit „fortschrittlicher“ Freaks derart in ihr Leben hineinpfuschen lässt.
Ja, ich weiß, Le Bon, Bernays, Lippmann, Canetti, Reich, Fromm, Mausfeld … viele schlaue Leute haben schon viel Schlaues dazu gesagt, aber das Rätsel bleibt. Auch dass die Menschen so gar nichts dazulernen. Immer wieder machen sie alles mit.
Apropos „sexbesessen“:
Natürlich ist das ganze Männlein-Weiblein-Thema das Interessanteste, was es überhaupt nur gibt auf der Welt. Und, mal abgesehen von der praktischen Ausübung, fördert das Erforschen der Geschlechtlichkeit mindestens so viel Wunderbares zutage wie das Erforschen der Sprache oder der Sterne, und die soziale Geschlechterrolle – nennen wir sie meinetwegen „Gender“ – gehört mit all ihren Variationen über die diversen Kulturen des Homo Sapiens hinweg zweifellos zu den großen Faszinosa der Anthropologie.
Allerdings darf man Gender-Studies keinesfalls mit Geschlechterforschung verwechseln. Geschlechterforschung, etwa unter humanethologischen, psychosexuellen, soziokulturellen Aspekten, ist eine hochinteressante und wichtige Sache, eben als Teilgebiet der Anthropologie. Die Geschlechter zu erforschen, ist mindestens so wichtig wie die Erforschung anderer biologischer und speziell auch psycho- und sozialbiologisch relevanter Kategorien: Rasse (ich meine „Rasse“), Konstitution, Intelligenz, Physiognomie, Alter, Intaktheit/Defektivität. Eher noch wichtiger, da „Geschlecht“ wohl die fundamentalste identitätsbestimmende Kategorie bildet. Ob es auch die dominante gesellschaftsstrukturierende und gerechtigkeitsrelevante Dimension ist, das wäre eine hochinteressante Frage, welche allerdings von den Gender-Studies gar nicht ernsthaft gestellt wird, da ihre Beantwortung als Vorannahme, sagen wir ruhig: als Vorurteil, bereits allem „Forschen“ dogmatisch vorangestellt ist.
Der Ernst des Lebens heißt Biologie
Die Zugehörigkeit zum einen oder andern Geschlecht ist in unserer Gesellschaft – sehr im Gegensatz zu nichtwestlichen, vor allem orientalischen, indischen, afrikanischen Gesellschaften – kein sonderlich „lebenschancenstrukturierender“ Faktor mehr.(3) Wohl aber bestimmt das Geschlecht immer noch, wie zu allen Zeiten, vergangenen und zukünftigen, die Art und Weise eines Menschen, in der Welt zu sein. Kaum eine Dimension des Biologischen determiniert die Seinsweise derart wie die Frage der Zugehörigkeit zu einem Pol des Mann-Frau-Kontinuums. Es gibt eine männliche Realität und eine weibliche Realität, und nur jemand, der noch nie etwas von Evolutionspsychologie und Psychoanalyse gehört hat, kann sich darüber wundern. Niemals kann ich als Mann die Welt wirklich weiblich erleben. Man muss kein Freud-Freund sein, um zu begreifen, dass die Sexualität sehr viel mehr ist als die Lust auf den nächsten Geschlechtsakt. Oder den nächsten Ferrari.
Vor aller Geistigkeit, vor aller Kultur und Politik und Gesellschaft und Wissenschaft ist der Mensch ein Tier, das zwei Interessen hat: Fressen und fortpflanzen. Der Mensch mag im Schiller’schen Sinne erst da ganz Mensch sein, wo er spielt (ob im Spaßbad oder im Bundestag, ob mit Murmeln oder mit Marsraketen), aber der Ernst des Lebens heißt Biologie. Der Mensch ist Darm und Keimdrüse. Alles andere ist Drumherum und Zubehör und dient den Grundanliegen der Evolution: das Tier als Individuum am Leben zu halten und das Tier als Art am Leben zu erhalten. Aber nur beim zweiten Punkt hat die Evolution zum Prinzip des kombinatorischen Dualismus gegriffen.
Bei der Selbsterhaltung ist sich jeder Körper selbst der Nächste. Das Tier muss Energie aus der Umwelt aufnehmen und verstoffwechseln, es nimmt Nahrung auf, verdaut sie, entzieht ihr die verwertbare Energie und die Vitalstoffe und scheidet den Rest wieder aus. Dieses System aus verschiedenen Funktionseinheiten des Verdauungstraktes, samt zugehörigen Drüsen und Transportsystemen, kommt bezeichnenderweise ohne Dimorphismus aus, es ist bei Männlein und Weiblein weitgehend gleich. Es ist einfach „menschlich“, gesamtmenschlich, und daher kaum von Interesse bei der Betrachtung von Spannungen und Konflikten, die durch biologische Ungleichheiten zustande kommen. Es gibt keine wirkliche Diskriminierung entlang von Stoffwechselkriterien. Dass dicke Menschen eventuell Nachteile erleiden, ist eine sekundäre Frage, die mit Ästhetik, Beweglichkeit, sexueller Attraktivität, Leistungsfähigkeit und dergleichen zu tun hat. Im Grunde aber sind wir alle „Esser“, „Fresser“, „Einverleiber“. Es gibt keine Alternative zum Esser, keinen zweiten Pol. Es gibt nicht „Esser und Photosynthetiker“ oder „Esser und Atmer“ oder so etwas, also dergestalt, dass eine Hälfte der Menschheit ihre Energie durch Nahrungsaufnahme gewönne und die andere Hälfte von Licht und Luft lebte und dafür auch andere Organe ausgebildet hätte. Oder dass es einen Typus gäbe, der Fleisch isst, und einen, der Pflanzen isst, und dann würde durch Mund-zu-Mund-Fütterung die optimale Mischung kombiniert.(4)
Die Zweigeschlechtlichkeit rückgängig machen?
Derartige Ausdifferenzierungen, solche aufwändigen Spielchen gibt es nur bei der Arterhaltung, der fortwährenden Umweltanpassung durch Sex und der daraus resultierenden Optimierung der Nachkommen. Die Zweigeschlechtlichkeit ist in ihrer Bedeutsamkeit auch überhaupt nicht vergleichbar mit der Aufspaltung in Geotypen, die sich durch Endogamie über Jahrtausende als „genetische Gewöhnung“ an die Erfordernisse bestimmter Habitate, klimatische Verhältnisse, Umweltbedrohungen, Nahrungsangebote etc. entwickelt haben. Wir könnten – wenn wir das wollten und organisiert bekämen – alle rassischen Diversifikationen heute tatsächlich rückgängig machen, indem wir uns vorsätzlich durchmischen, sodass in absehbarer Zukunft, in relativ wenigen Generationen schon, eine einzige Mischrasse entstanden sein würde.
Wir können aber nicht die Zweigeschlechtlichkeit rückgängig machen. Sie ist ein unendlich fundamentaleres Prinzip des Lebendigen als die ziemlich oberflächliche Rassendiversität. Es ist Folge eines entsetzlich groben Denkfehlers, diese Dinge ständig in einem Atemzug zu behandeln: „Mann und Frau“, „Schwarz und Weiß“. Als wären das Einteilungen, die auf ein und derselben Ebene des Seins angesiedelt wären – mal abgesehen davon, dass das dumme „Schwarz-Weiß-Denken“ völlig ignoriert, wie viele verschiedene Geotypen es in Wahrheit zu bewundern gibt. Die sogenannten Antirassisten kennen offenbar immer nur „Menschen“ oder aber „Schwarze und Weiße“. Diese Leute sind keine Antirassisten, sondern reduktionistische Ignoranten. Humanitätspfuscher und Stümper. Merke: Das stärkste Mittel gegen Rassismus ist eine aufgeklärte, ideologiefreie „Rassenkunde“. Oder eben eine umfassende Anthropologie, die ganz selbstverständlich auch die Erforschung der menschlichen Geotypen zum Inhalt hat.
Exkurs: Mann und Mensch, Schnabel und Schniedel
Männlich und weiblich sind – wenn man unbedingt von „Wert“ reden will, was man m.E. nicht tun sollte – völlig gleichwertig, aber sie sind nicht „symmetrisch“. Der geistige Geschlechtsdimorphismus wird von Genderideologen gern kleingeredet (wenn er nicht gerade aufgebauscht wird), aber die Biologie prägt die Psyche nun mal in einem Maße, wie der heutige relativistisch-konstruktivistische Intellektuelle es nicht mehr gern wahrhaben will.(5)
Es ist ja teilweise ganz banal: Das Jungchen hat da was zwischen den Beinen, das Mädchen hat da nichts. Also, es hat schon was, aber etwas vergleichsweise dezent Ausgestaltetes, im Gegensatz zur auffälligen Prominenz des brüderlichen Zipfels. Die frühe Psychoanalyse dachte viel über Penisneid und Kastrationskomplex nach, was auch nicht ganz abwegig ist, aber hier geht es – zur Erinnerung – eher um Psyche und Grammatik, und da wird man konstatieren müssen, dass die männliche Form des Homo Sapiens gewissermaßen die vollständige ist, und die weibliche ist die, wo etwas fehlt. Wenn wir einen Geschlechtsdualismus hätten, wo beide etwas in Größe und Funktion Vergleichbares zwischen den Beinen hätten, würden wir in einer völlig anderen Welt leben. Wenn die Frau ihre Eierstöcke ebenfalls in einer Art Skrotum außerhalb ihres Abdomens präsentieren würde, und die Vagina ein dem Penis analoger Schlauch wäre, der sich zur Aufnahme des männlichen Phallus aufrichten würde, dann hätten wir schon eher so etwas wie Symmetrie, wobei dann wahrscheinlich die Frage, wer in wen eindringt und aus wem etwas herausejakuliert kommt, also die Frage von Aktivität und Passivität, Geben und Empfangen, eine noch größere Rolle spielen würde.
Es geht aber bei all dem – man kann es kaum deutlich genug sagen – nicht um Wertfragen, es geht um Gestalt- und Beschaffenheits- und Aktionsfragen, um konvex und konkav, hart und weich, eckig und rund. Es geht auch – man gestatte mir den arglosen Ausrutscher in die Erwachsenensprache – um Ficken und Geficktwerden. Es ist doch recht selten die Frau, die den Mann fickt. Das wäre eher eine Special-Interest-Sache, für die gewisse Hilfsmittel nötig sind. Normalerweise penetriert der Mann die Frau. Er macht, sie lässt machen.(6) Achtung: das hat nichts mit Macht zu tun. Es geht allein um die Form des Erlebens, um die Gestalt von Lebensäußerungen. Und da reden wir noch gar nicht von den Folgen von Schwangerschaft, Brutpflege, Kinderaufzucht, Nahrungsbeschaffung, Schutz und Verteidigung, und was solche biologischen Notwendigkeiten für die Ausprägung der geschlechtstypischen wie geschlechtsspezifischen Rollenmuster bedeuten.(7)
Man unterschätze auch all die peripheren Nebenaspekte des „kleinen Unterschieds“ nicht, man fühle sich doch einmal meditativ zurück in die Kinderseele und vergegenwärtige sich, was es – nur als Beispiel – hinsichtlich des Selbstempfindens für einen Unterschied macht, dass der Junge im Stehen pinkeln kann, dass er zielen und treffen kann, dass er einen definierten Strahl im hohen Bogen wie ein Werkzeug einsetzen kann, wie sich dadurch analog zur Auge-Hand-Koordination eine Auge-Geschlechts-Koordination herausbildet. Und das Mädchen? Es muss sich hinhocken, und dann fließt etwas aus ihm heraus. Es gebietet nicht über eine vergleichbare „Waffe“, es hat nichts in der Hand zu halten und auf ein Ziel auszurichten, es lässt laufen, es gleicht einem umgekippten Gefäß, aus dem etwas herausgluckert.
Die hilflosen Phantastereien von Gebärneid oder Brustneid, mit denen frühere Feministen hier und da schon mal versuchten, die Frau als die „vollständigere“ Gestalt zu positionieren, sind nicht sehr ernst zu nehmen, einfach weil Brustdrüsen und Gebärfähigkeit sich viel zu spät entwickeln, um in psychosexueller Hinsicht eine den primären Sexualorganen vergleichbare Rolle zu spielen. Kein Mann wünscht sich Brüste, kein Mann will ein Kind gebären und stillen. Es sei denn, in seiner psychosexuellen Entwicklung ist etwas reichlich schiefgegangen …
Worauf will ich hinaus? Ich will vorsichtig zu bedenken geben, dass es nicht vollständig abwegig ist, dass die Menschheit sich zu einer „androzentrischen“ Spezies entwickelte, bei der der Mann (ähnlich wie bei der Pfauheit, der Hirschheit oder der Gorillaheit) eher als das „starke“, das „vollständige“, das „potente“, vielleicht sogar als das „primäre“ und „eigentliche“ Geschlecht empfunden wird, und dass sich diese psychobiologische Gegebenheit sprachlich, als lexematisches Abbild eines bestimmten Weltverständnisses, ausdrückt.(8) Dass der Mann und der Mensch sich in vielen Sprachen ein Wort teilen (homo, man, homme etc), ist nicht der Bosheit des Patriarchats geschuldet, sondern der Gedankenlosigkeit von hunderten Generationen, die halt sprachen wie ihnen der Schnabel und der Schniedel gewachsen (oder eben nicht gewachsen) war.
Gestrüpp und rechte Winkel
Die Gedankenlosigkeit ist der springende Punkt: Wir fordern heute eine Stringenz und Klarheit von der Sprache, die nicht herzustellen ist. Jedenfalls nicht im Deutschen. Ein „geschlechtergerechter“ Umbau des Deutschen ist – selbst wenn man ihn wollte – nicht möglich. Es wäre am Ende kein Deutsch mehr, man müsste die Sprache komplett neu konstruieren, und das würden die Konstruktivisten, die derzeit an allen Hebeln der Macht sitzen, natürlich auch gern tun, es ist aber gerade bei der Sprache nur mit unverhältnismäßiger Gewalt machbar. Und auch mit Gewalt und gesellschaftlicher Repression würde man allenfalls Korrektheit und Gehorsam in der Öffentlichkeit erreichen, privat werden die Menschen – ich zwinge mich denn doch zu diesem Optimismus – immer so sprechen, wie sie wollen, nein, nicht wie sie wollen, sondern wie sie müssen, denn niemand kann dauerhaft anders sprechen, als so wie es in ihn hineingewachsen ist.
Das Sprechen ist mit der Welt gestrüppartig verwachsen, das Gehirn ist durch neurogrammatische Schlingpflanzen verwoben mit den Tiefenstrukturen der Umwelt. Man kann hier ein wenig gärtnern und das Gestrüpp in Form bringen, also etwa einen verräterischen Soziolekt etwas abtragen, begradigen, das Lexikon aufhübschen, die Syntax schön herrichten, die prosodische, suprasegmentale Performanz trainieren und optimieren. Und das wirkt dann auch alles auf das Denken und das Bewusstsein zurück.
Aber Eingriffe und Umbauten, wie die Gender-Ideologen sie verfolgen, bleiben immer auf dem Problemlevel einer Fremdsprache. Man kann gewiss mit Vierzig noch Chinesisch lernen, aber man wird dann niemals auf Chinesisch denken oder fluchen oder gar träumen. Spracherwerb ist nun mal etwas ganz anderes als das Erlernen einer fremden Sprache.
Die organische Grammatik kennt keine Geraden und keine rechten Winkel. Die Genderkonstruktivisten aber hassen das organische Gestrüpp. Sie lieben – falls sie der Liebe fähig sind – das Rechtwinklige, das „Korrekte“, die Reduktion, die Abstraktion, den Schottergarten.
Sichtbarmachung durch sprachliche Hässlichkeit?
Mein Hauptproblem mit den Gender-Zeloten ist (abgesehen von ihrer brutalen Geschmacklosigkeit), dass sie sich anmaßen, entscheiden zu können, welches Kriterium das wichtigste sei, um gesellschaftliche „Gerechtigkeit“ herzustellen. Da der Gender-Unfug auf feministischem Mist gewachsen ist, ist klar, dass dieses Kriterium das Geschlecht sein muss, also „Geschlecht“ als Rollenzwang und maskuliner Machtfaktor, als Wahn und Dünkel, als Peitsche und Knute im Waffenschrank phallisch besessener Unterdrücker. Die Welt reduziert sich auf einen Geschlechterkampf.
Ja, eine geschlechtlich „begründete“ Ungerechtigkeit existiert in den allermeisten Gesellschaften auf dem Globus, und der Kampf dagegen findet zu Recht statt (Himmel, dass man so was betonen muss!), in Deutschland allerdings ist er weitgehend zu Ende gekämpft. Es gibt nichts, rein gar nichts, was Frauen nicht machen dürften. Die Zivilisation ist auf diesem Felde perfektioniert. Alles Weitere wäre Kultur, und die wird nicht durch Sprachvorschriften hergestellt. Wenn jemand dies doch tut, dann ist er ein Tyrann. Bürgermeister, Intendanten, Rektoren, Behördenleiter, die ihre Mitarbeiter anweisen, mit Sternchen zu schreiben, vergewaltigen die Bewusstseine von Menschen. Nachrichtensprecherinnen öffentlich-rechtlicher Sender, die mit Gap sprechen, notzüchtigen ihre Zuhörer. Und sie tun es ohne jeden Gewissensbiss, denn es ist ja Gewalt für die gute Sache, nicht wahr? Nein, es ist Gewalt für die gänzlich unnötige Sache. Frauen sind faktisch vollständig gleichberechtigt und bedürfen nicht der Sichtbarmachung durch sprachliche Hässlichkeit.
Die Liebe zum Mangelhaften
Es gäbe freilich andere Kriterien, entlang derer sehr viel deutlichere Benachteiligungen etabliert sind, die aber offenbar keine Sichtbarmachung durch Sprachmittel erfordern. Warum nicht? Warum muss es das Geschlecht sein? Weil es dem Wahn der Gender-Ideologen entspricht, dass diese Differenz über alles entscheidet. Das tut sie zwar auch (wie oben dargelegt), aber nicht auf der Ebene des Rechts oder der sozialen und kulturellen Teilhabe. Auf diesen Ebenen spielen ganz andere Dinge eine Rolle: Intelligenz, Schönheit, Bildungsgrad der Eltern, Krankheiten, Religion, Sprachkompetenz, körperliche Vorrausetzungen und Einschränkungen. Es ist – aus der Distanz betrachtet – die reine Willkür, wenn jemand vor ein Publikum tritt und in jedem Satz penetrant die Geschlechtsdifferenz der Menschen betont, in der Annahme, dass dies für die Angesprochenen das Wichtigste in ihrem Leben sei und die Aussprache dieses Faktums ihnen zur Befriedigung ihres Gerechtigkeitssinns gereiche.
Warum aber inkludiert der Redner denn nicht auch noch nach anderen Kriterien, die wahrscheinlich sehr viel schicksalsentscheidender und identitätsprägender sind? Ganz einfach: Weil wir es mit reduktionistischen Ideologen zu tun haben. Solche Leute sehen die Welt durch den optischen Filter eines einzigen Kriteriums, in diesem Fall den der Geschlechtlichkeit. Es kommt ihnen entgegen, dass unsere deutsche Sprache mit ihrem Genus-System eine historisch gewachsene Scheinlogik aufweist, die sie als Ungerechtigkeit interpretieren können.
Die Position der Gender-Verweigerer wird leider dadurch geschwächt, dass sie sich eben nicht auf Logik oder Stimmigkeit berufen können, sondern dass sie den organischen Mangel verteidigen müssen wie die Schönheit eines behinderten, verwachsenen, aber innig geliebten Kindes.
und
(2) Das – und noch ein paar andere Kuriositäten – behauptet Anatol Stefanowitsch: Eine Frage der Moral – Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen, Dudenverlag, Berlin 2018, S. 36.
(3) Heike Diefenbach: „Gender Studies: Politische Ideologie statt Sozialwissenschaft“. In: „Gender Studies: Wissenschaft oder Ideologie?“ Herausgegeben von Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig, Deutscher Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2019, S. 102.
Alle Beiträge dieses Bandes sind übrigens äußerst lehrreich und lesenswert.
(4) Ja, man findet auch bei der Betrachtung des Verdauungstraktes Unterschiede zwischen Männern und Frauen, z.B. was die Darmflora betrifft oder das Risiko für Tumorerkrankungen, aber es gibt keinen anatomischen Dimorphismus wie beim Sexualapparat.
(5) Die oben folgenden Spekulationen mögen ihre Plausibilität haben oder auch nicht, mir geht es nicht ums Rechthaben, sondern lediglich ums Anregen. Unspekulative Tatsache hingegen ist, dass die Biologen mittlerweile ziemlich gut wissen, woher die Geschlechtsrollenunterschiede kommen. Sie kommen daher, dass Männer und Frauen unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien verfolgen – verfolgen müssen, denn die Evolution hat es unabänderlicherweise so eingerichtet, dass eine Frau ihre Gene während ihres Lebens – wenn es hoch kommt – vielleicht 20-mal weitergeben kann. Wenn es sehr hoch kommt, also durch Mehrlingsgeburten, vielleicht sogar 40- oder 50-mal. Ein Mann hingegen kann bei grob gerechnet 60 Jahren Zeugungsfähigkeit rein theoretisch 60 mal 365 mal 3, also – Pi mal Hammer – 60.000 Nachkommen in die Welt setzen. Diese Zahl ist natürlich wirklich total theoretisch, denn in der Praxis hat kein Mann über Jahrzehnte hinweg Zugang zu drei verschiedenen Sexualpartnerinnen pro Tag. Um diesen „Idealzustand“ zu erreichen, muss er entweder sehr mächtig werden, sehr reich oder sehr attraktiv. Macht und Reichtum sind evolutionär wenig relevant. Ein Sultan oder sonstiger Potentat mag einen riesigen Harem zur Verfügung haben, ein Milliardär mag sich unbegrenzt Sex mit käuflichen Damen leisten können, aber Macht und Geld werden nicht genetisch weitervererbt. Attraktivität schon, also solche Eigenschaften, die einer Frau signalisieren, dass sie ihre kostbaren Eizellen in einen Mann investiert, der sie und ihr Junges versorgen und beschützen kann, mindestens während der Phase, da sie schwach und angreifbar ist und zu hundert Prozent damit beschäftigt, sich um die Bedürfnisse des Kindes zu sorgen, welches im Gegensatz zu fast allen anderen Säugetierkindern eine Frühgeburt ist, die völlig unselbständig ist und noch lange Zeit nach Verlassen des Mutterleibes schlichtweg gar nichts alleine kann.
Aus den ganz und gar unterschiedlichen Anforderungsprofilen hinsichtlich erstrebenswerter Sexualpartner haben sich die Rollentypen entwickelt. Es ist für eine Frau, die Kinder haben will (also ihre Gene weitergeben will), nicht unbedingt von Vorteil, wenn sie groß und aggressiv und körperlich durchsetzungsstark ist, wenn sie einen Jagdspeer weit werfen kann oder technische Geräte entwickelt, um die Lebenswelt für die Träger ihrer Gene sicherer, bequemer, gedeihlicher zu gestalten.
99 Prozent aller Patente werden von Männern angemeldet. Nicht, weil Frauen zu dumm wären, um technische Innovationen zu ersinnen, sondern weil sie weniger Motivation zu dieser Art von Verhalten aufbringen. Es verschafft ihnen keinen Fortpflanzungsvorteil. Männer aber können auf diese umwegige Weise exzellieren, und sie müssen exzellieren, vor allem die somatisch nicht so Herausragenden müssen es, um mangelnde Körperkraft, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit im direkten Kampf um ein Weibchen durch Demonstration von „Tauglichkeit“ im weitesten Sinne wettzumachen – durch irgendeine Fähigkeit also, die Welt auf die eine oder andere Weise zu beeindrucken: durch bewunderungswürdige Leistungen etwa in Wissenschaft, Kunst, Technik, Wirtschaft, Politik. Solche Leistungen ersetzen das Pfauenrad, das Hirschgeweih, den Silberrücken. Frauen hingegen können mangelnde Attraktivität – also mütterliche Kompetenzen, körperlich sichtbare Brutaufzucht-Talente, Gebärfreudigkeit, Stillfähigkeit, Fürsorglichkeit etc. – nicht wirklich wettmachen, indem sie neue Waffensysteme erfinden oder Schachweltmeister werden.
Empfehlung zur Vertiefung und Korrektur meiner laienhaften Ausführungen: Axel Meyer: Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer. Bertelsmann, München 2015
(6) Klar kann auch sie „machen“ im Sinne von „bewegen“, also den aktiven Part übernehmen, während er passiv herumliegt. Aber es ist auch dann noch das harte Männliche, das ins weiche Weibliche eindringt. Man kann es zwar so auslegen, dass „sie ihn fickt“ und er demzufolge nicht aktiv eindringt, sondern gewissermaßen „eingedrungen wird“, aber wenn wir uns mal nichts vormachen wollen, dann handelt es sich bei dieser Form coitaler Betätigung um eine spielerische Variation, die in der Regel ein Zwischenspiel auf dem Weg zum Endspiel a Tergo darstellt.
Dass aus diesen ganzen anatomischen Gegebenheiten auch weitaus größere Missbrauchsmöglichkeiten von Seiten des Mannes resultieren – die Vergewaltigung eines Mannes durch eine Frau erfordert schon einiges an Phantasie –, muss ich, so scheint mir, nicht groß ausführen.
(7) Geschlechtstypisch: Verhaltensweisen, die zwar bei beiden Geschlechtern vorkommen, aber verschieden häufig. Geschlechtsspezifisch: Verhaltensweisen, die auf ein Geschlecht beschränkt sind. Viele interessante Beispiele bei: Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Die Biologie des menschlichen Verhaltens – Grundriss der Humanethologie, 3., überarb. und erw. Aufl., Seehamer Verlag, Weyarn 1997, S. 372 ff.
Ich habe zwar eine Abneigung gegen dickleibige Monumentalwerke, aber dieses Buch gehört zu den wenigen 1000-Seitern, die man unbedingt gelesen haben muss, weil man sonst schlichtweg nichts vom Menschen, vom Leben, von den Grundlagen unserer Existenz begreift. Es wäre schön, im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit, wenn das Fach Humanethologie wenigstens mit ebenso vielen Professuren an deutschsprachigen Universitäten vertreten wäre wie die Pseudowissenschaft Gender Studies (ca. 200). Soweit ich sehe, gibt es aber nach dem Tode des großen Forschers und Menschenfreunds Eibl-Eibesfeldt nur noch in Österreich (Uni Innsbruck) eine Forschungsgruppe, und hier und da mal eine Unterabteilung im Bereich der neudeutsch so genannten „Life Sciences“. Sollte es eine Partei geben, die das ändert und zudem dafür sorgt, dass in ARD und ZDF jeden Tag drei bis fünf Dokus und Talks zum Thema Humanethologie laufen, würde ich die wählen, ganz egal, was die sonst noch so wollen.
(8) Es wird dem aufmerksamen Leser des zweiten Teils aufgefallen sein, dass dieser Befund sich nur schwer mit der Markiertheitstheorie in Einklang bringen lässt – sofern man überhaupt das Bedürfnis haben sollte, biologische Formalitäten mit Sprachgesetzen in Einklang zu bringen. Der gemeinsame Bezugspunkt ist das natürliche Gestaltempfinden, und da kann man sich halt schon fragen, ob nicht der Mann mit dem, was er „zusätzlich“ zwischen den Beinen hat, die komplexere, die speziellere, die abgeleitete Form darstellt gegenüber der „Grundform Frau“, die gewissermaßen den „sexuellen Nominativ“ verkörpert. Kann man fragen, aber man kann von mir bitte auch nicht Antworten auf alles verlangen.
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© Marcus J. Ludwig 2021.
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